Stuttgart – Mittwoch, 30.5.2012, 18.30 Uhr
Das Motto der Show: Pleiten, Pech und Texthänger. Ok, so schlimm war´s nicht, aber dreimal ging´s mit dem Text doch daneben. Die zwei kleinere Pannen passierten „in Monte Carlo“, der dicke Patzer erst im zweiten Akt.
Zunächst hatte es Mrs. van Hopper etwas eilig und erklärte Maxim einen Einsatz zu früh, er würde scherzen. Das klang etwas komisch, hatte dieser doch noch gar nichts „scherzhaftes“ gesagt. Der Spruch mit dem Helfen beim Koffer auspacken kam genau danach.
Am Frühstückstisch platze Ich so schnell damit heraus, dass Mrs. Van Hopper nicht das Hotel verlassen würde, dass ihr auf die nächste Anfrage Maxims nur noch ein Kopfschütteln blieb. Ganz aussprechen konnte sie die Feststellung auch nicht, weil Maxim ihr mitten in den Satz fiel.
Den großen Blackout erwischte dann wieder Ich, diesmal im Lied „Mrs. De Winter bin ich“. Ihr entfiel der komplette Text nach der ersten Strophe, erst zum Schluss kam sie wieder rein. In der Zwischenzeit rannte sie hektisch über die Bühne, schlug die Hände vor dem Kopf zusammen, wühlte auf dem Schreibtisch rum und warf (eigentlich zu früh) den Porzellan-Amor in die Kiste. Das Verhalten passte so ja bestens in die Szene, nur der Gesang kam außer ein paar Worten einzig von Mrs. Danvers.
Nach der Show meine Lucy Scherer, sie habe sich leid getan und eine Souffleuse gewünscht. Pia Douwes meinte dazu, sie fand die Szene spannend. Ich befürchte allerdings, dass neben mir die Abendspielleitung saß. Der Herr wirkte bei besagter Szene sehr konzentriert...
Live gesehen habe ich vorher die Budapester Produktion, die sich optisch (zwangsweise, weil Repertoire-Betrieb) deutlich von der Stuttgarter Version unterscheidet.
Die riesigen Kulissen und die zahlreichen Projektionen in Stuttgart sind gigantisch. Bezüglich der Höhe der Kulissen war ich froh, recht weit hinten zu sitzen, da sie so nicht gleich erschlagend wirkten. Im Verhältnis zur Höhe wirkte die Bühnenbreite recht schmal.
Die teils dreidimensionalen Projektionen sehen faszinierend aus, vor allem, wenn sie sich passend mitbewegen. Das leuchtend rote Weinlaub um Rebecca´s Zimmer wirkt sehr detailreich und zahlreich. Zahlreich eingesetzt wurde die Projektion vom Haus Manderley selber. So oft war es meiner Meinung nach gar nicht nötig, vor allem, wenn man wie zu Beginn des zweiten Aktes schon längst das zimmer dahinter sieht. Schön wirkt das tosende Wasser, das sich quasi auf die Bühne ergießt.
Beeindruckend gelingt auch der einfahrende Zug. Das anschließende weiter „Schweben“ Maxim´s und Ich´s aus dem Bahnhof raus und auf einen Weg per Projektion ist prinzipiell nett. Dadurch dass die beiden sich umarmend auf der Stelle stehen, passt das Verhalten der beiden Protagonisten nicht zur inhaltlich Sinn habenden Projektion. Da wird so viel technischer Aufwand betrieben, um die Übergänge zu schaffen, dass manchmal leider der schauspielerische Aspekt auf der Strecke bleibt.
Der technische Wahnsinn ist das Feuer in Manderley. Die brennende Treppe selber finde ich dabei weniger spektakulär, da das schrittweise nacheinander Zünden der Stufen sehr gut zu erkennen ist. Beeindruckend ist der anschließende Übergang von dem realen Geschehen auf der Bühne zu den Projektionen, die die Szenengestaltung fließend immer mehr übernehmen. Ebenfalls beeindruckend ist die Lautstärke der Szene. Der Kronleuchter kracht dermaßen heftig runter (unterstützt von passenden Toneffekten), dass es so einige Leute aufschreien ließ.
Was mir überhaupt nicht gefiel war das Verhalten von Mrs. Danvers, die die Hausangestellten mit der Fackel bedroht und verjagt und anschließend (in nicht überzeugender Weise) die Treppe anzündet. Da dürfte auch dem letzten Angestellten klar sein, woher das Feuer kommt. Und just dann heißt es im Text: „Ich schwöre, im Haus war jedes Feuer aus gemacht.“ Irgendwie nimmt dies der Szene das ganze Rätselhafte und Mystische weg. Es ist einfach zu offensichtlich, was passiert. Schade!
Die neue Hochzeitsszene ist merkwürdig geworden. Ausgerechnet die zeichnerisch begabte Ich lässt sich zeichnen (interessanter Gedanke), während Maxim in der Ecke steht und vor sich hin singt. Im Hintergrund schaukeln einige Gondeln auf dem Wasser, wobei das Bild schräg steht und somit das Wasser auf die Bühne laufen müsste bzw. eine Gondel so unvollständig ist. „Nur“ für den Hintergrund sieht das Bild somit zu schief aus, als Bezug zum Geschehen fehlt der Übergang auf die Bühne. Denkt man den Übergang dazu, dann steht Maxim mitten im Wasser.
„Nasse Füße“ bekommt er passenderweise, da er sich im neuen Lied „Zauberhaft natürlich“ gerade mal eingesteht, die Ich gern zu haben. Zur Liebe reicht der Mut doch nicht aus. Ansonsten trägt dieses Lied nicht wesentlich zur Handlung bei. Ich habe es bisher nicht vermisst und kann mir das Musical weiterhin sehr gut ohne vorstellen. Was Maxim für die Ich empfindet, kommt auch ohne dieses Lied gut rüber. Warum Ich so fasziniert vom steifen Maxim ist, finde ich dagegen schwieriger nachzuvollziehen. Wie wäre es also mit einem Solo für sie zu diesem Thema?
Schade finde ich die Kürzungen von „Zeit in einer Flasche“ und „Die Stärke einer Frau“, die beide eine Strophe verloren haben. Beide Male trifft es die Ich, deren Empfinden so hinter Maxim zurück gestellt werden.
Das neue Lied der Hausangestellten finde ich sehr eindeutig. Es macht deren Haltung gegenüber der Ich deutlichst klar. Die Melodie blieb mir nicht im Gedächtnis. Das Lied ist gar nicht lustig. Im Vergleich zum früheren „Wir sind britisch“ geht einerseits so eine auflockernde Szene verloren, andererseits passt das neue Lied gut in die Geschichte und wirkt nicht wie ein Fremdkörper.
Warum Clarice bei „Heut Nacht verzauber ich die Welt“ mitsingen muss, ist mir ein Rätsel. Es bringt rein gar nichts, weil sie von Ich schlicht übersungen wurde. Verstanden habe ich von Clarice gerade mal die ersten Wörter.
Die Besetzung:
Ich: Lucy Scherer
Naja, zwei Patzer der Show gehen auf ihr Konto. Da merke man schon, dass sie nach einer Pause ihre erste Show wieder spielte. Das junge Mädchen spielt sie schön naiv, begeisterungsfähig und unerfahren, teilweise fast hilflos. Ihre Wandlung zur starken Frau fand ich erst nicht sehr eindeutig herausgespielt. Das deutlichste war die Farbe ihrer Kleidung von schlicht zu kräftig. Erst ab „Mrs. de Winter bin ich“ wurde stimmlich und von der Körperhaltung her der Unterschied deutlich.
Maxim de Winter: Jan Ammann
Sein Maxim ist sehr steif und „zugeknöpft“ und zeigt meist sehr wenig Emotion. Und wenn, dann sind es gleich ganze Ausbrüche wütender Art. Die gelingen ihm sehr eindrucksvoll. Stimmlich passt die Rolle perfekt zu ihm. Seine warme Stimme gegenüber der Ich oder die kraftvolle Stimme bei den Wutausbrüchen klingen einfach klasse!
Mrs. Danvers: Pia Douwes
Der Star des Abends. Wen wundert´s, sie hatte die Bühne bei jedem Auftritt fest im Griff. Ihre Bühnenpräsenz in der Rolle ist schlicht beeindruckend. Sie legt ihre Rolle steif, manisch und besessen an, die stets etwas bedrohliches mit sich bringt, gleichzeitig darin ruhig, beinahe majestätisch wirkt. Selbst in ihrem Untergang wirkt sie gefasst und zielsicher, sie stürzt sich nicht planlos oder durchgedreht und Verderben. Schöne Rolleninterpretation!
Beatrice: Maike Switzer
Sie spielt eine sehr liebevolle und warmherzige Beatrice, bei der schnell klar ist, warum Ich sie mag. Ihre helle doch warme Stimme passt super zur Rolle.
Mrs. van Hopper: Claudia Stangl
Sich aufspielen, dabei das Geschehen um sie herum verpassen, herablassend gegenüber der Ich sein, einfach sich selber in den Mittelpunkt der positiven Aufmerksamkeit stellen ohne dabei völlig überdreht zu sein gelingt ihr bestens. Sie bleibt stets im Bereich des menschlich dreisten und macht aus ihrer Rolle keine Reine Witzfigur. Gut!
Jack Favell: Hannes Staffler
Seine Rolleninterpretation entspricht nicht meinen Vorstellungen. Ich finde ihn sehr hart und steif, beim ersten Auftritt gegenüber der Ich sogar kurz bedrohlich. Mir persönlich fehlt das Schleimige, Schmierige in der Rolle. Diese „Ich will alles ganz locker haben“-Einstellung, von der er in seinem Solo singt, fehlt mir in seinem Verhalten. Seine Version ist nicht schlecht, aber für mich nicht das Richtige.
Frank Crawley: Jörg Neubauer
Verständlich, warum ein so netter Mensch der beste Freund von Maxim de Winter ist. Er wirkt offen, warmherzig und zugewandt und nicht so steif wie die anderen Hausangestellten.
Ben: Daniele Nonnis
Der Nächste, mit dem ich so meine Schwierigkeiten hatte. Seine Darstellung war klasse, ohne Zweifel. Er spielte Ben wie eine Mischung als kindlich, obdachlos und verängstigt. Aber warum Ben so alt wirken muss, ist mir ein Rätsel. Ich weiß nicht, welche Personenbeschreibung im Roman steht, so kann ich nicht sagen, ob ein alter oder junger Ben passend ist. Ich bin von der Budapester Version einen jungen Ben gewohnt, der etwas geistig behindert wirkt. Daher ist so ein alter Ben für mich einfach befremdlich.
Ensemble, Damen:
Christina Patten (Clarice): Sie spielt die Neue sehr ruhig und der Ich gegenüber liebevoll. Vom Gesangstext kam leider nicht viel an.
Lena Brandt, Christina Maria Brenner, Petra Clauwens, Mona Graw, Michaela Schober, Veronique Spiteri, Melanie Walter
Ensemble, Herren:
Udo Eickelmann (Giles/Horridge): Als Giles ist er herrlich verschroben und mit derben Humor aber gleichzeitig liebevoll. Sein Horridge ist streng und autoritär, aber nie beängstigend. Schön!
Erwin Bruhn (Oberst Julian):
Matthias Graf (Frith)
Christian Kerkhoff (Robert): Ein braver Hausangestellter, der gewissenhaft seine Pflicht tut.
Christoph Apfelbeck, Raphael Dörr, Hendrick Schall, Carl van Wegberg
Das Programmheft lohnt sich aktuell übrigens gar nicht. Es ist noch die alte Besetzung abgedruckt und von einem Einleger mit der neuen Besetzung fehlt jede Spur! Einfach ärgerlich, dass es nichtmals zu dem „berühmten“ bedruckten Blatt Papier reicht!
Alles in allem ist es eine gute Produktion, die bei ein paar Stellen Geschmackssache sein dürfte. Es ist schön, mal wieder eine Großproduktion zu sehen, bei der nicht wegen „Tourneetauglichkeit“ an der Ausstattung gespart wurde. Die Geschichte selber bräuchte den Aufwand zwar nicht, aber das ist echt Meckern auf hohem Niveau.
