little miss sunshine hat geschrieben:Nicht,dass ich Anouk ihre Traumrolle nicht wünsche,aber irgendwie verläuft mir das nun doch etwas zu glatt (bzw als Cover hätte sie zwar ihre Traumrolle vor Augen,aber sie müsste noch auf den richtigen Moment warten...)^^
Das ist nur die Ruhe vor dem Sturm. Versprochen
Im Laufe dieses Teils werden wir übrigens in der Jetzt-Zeit ankommen - ich hoffe, der 1.-Person-Präsens-Schreibstil stört nicht so sehr. Er ist zwar etwas ungewohnt, aber ich mag ihn ganz gern.
Die Derniere bei
Sweeney Todd war, trotz der Schwierigkeiten mit der Presse, wunderschön und traurig. Mein erstes Engagement als richtige Musicaldarstellerin war etwas besonderes, und ich war sehr niedergeschlagen, dass es vorüber ging.
Daran musst du dich nun gewöhnen, sagte ich mir, als ich den Applaus entgegennahm. Ich sah die Zuschauer, schemenhaft, die sich wie eine Welle erhoben und klatschten, fahl im warmen Scheinwerferlicht. Du hast ihnen ein paar Stunden Flucht ermöglicht, ein paar Stunden Vergnügen. Ich wusste, es würde nie einfacher werden, sich von gerade liebgewonnenen Menschen zu trennen. Aber irgendwann würde man dem Zeitpunkt gefasster entgegentreten und ihn gefasster hinter sich bringen. Ich ergriff Jakobs Hand, und ein letztes Mal verbeugten wir uns, ehe der Vorhang mit einem leisen Rauschen fiel.
Aber ich war auch aufgeregt. Ich war bereit für neues, und wie ich das war! Für Marius’ Konzert musste geprobt werden, und diese Proben machten großen Spaß. Schon nach einer kurzen Begrüßung setzte er sich mit Muriel, Niklas (ein Darsteller, der nur ein Jahr mehr Erfahrung hatte als ich) zusammen und führte uns seine ersten Ideen vor:
„Ich würde gerne zwei, drei Duette haben“, begann er, „und ein oder zwei Solos.“ Er sah uns der Reihe nach an. „Bei den Solos lasse ich euch freie Wahl. Allerdings würde ich gerne mit Muriel
Ein gefährliches Spiel aus
Jekyll&Hyde singen.“ Muriel nickte erfreut.
„Und mit Anouk
Wenn ich tanzen will aus
Elisabeth.“
„Sehr gerne“, antwortete ich, wenn auch ein wenig überrascht. Ich hätte darauf getippt, dass wir
Totale Finsternis oder irgendetwas aus
Rebecca singen würden. – Aber man musste schließlich auch dem Neuen Platz lassen.
„Niklas“, wandte er sich an den letzten in der Reihe, „
Die Schatten werden länger?“
„Das habe ich mir fast gedacht“, lachte Niklas. „Bin dabei. Dürfte ich direkt ein Solo vorschlagen?“
„Klar. Am besten, ihr überlegt euch alle, was ihr gerne singen würdet – ob ihr ein Duett mit jemand anderem wollt, ein eigenes Solo… Ich bin da ganz offen.“
„Ich würde dann
Dunkles Schweigen an den Tischen nehmen“, sagte Niklas. Marius grinste.
„Wen wundert’s?“, fragte er. An uns gewand erklärte er: „Niklas hat seit gestern Gewissheit, dass er als Marius in
Les Miserables engagiert ist.“
„Oh, herzlichen Glückwunsch!“, sagte Muriel, und ich gratulierte ebenfalls. Allerdings wusste ich noch gar nicht, was ich singen wollte.
„Macht nichts“, tröstete Marius mich. „Ich kann mir schon denken, dass du im Moment auch anderes im Kopf hast.“
Das war wahr. Denn die Audition stand unmittelbar bevor. Die nächsten zwei Tage vergingen, ohne dass etwas nennenswertes geschah; es war beinahe unheimlich ereignislos.
Und dann war da die Audition.
Muriel begleitete mich auf dem Hinweg nach Berlin, wofür ich ihr unendlich dankbar war: ich war so aufgeregt, dass mir fast die Tränen kamen. Ich trug ein nagelneues, dunkelblaues Kleid, ich hatte meine beste Bewerbung dabei, und ich hatte einen Song.
Und ich wusste immer noch nicht, ob er der richtige war.
„Ich wünsche dir alles Gute!“, flüstere Muriel in mein Ohr, als wir uns umarmten. Ich ging in das Theater, in dem die Audition stattfand, und alles kam mir ganz unwirklich vor. Überall junge Frauen, bekannte und berühmte Gesichter. Unsicherheit, Einsingen, abschätzige Blicke. Kurze Gespräche – betont freundschaftlich. Ich starrte gegen die Wand, ging meinen Song durch.
I have confidence, dachte ich, immer wieder. Aber es klang hohl.
„Anouk Steger?“
Ich blinzelte und sah auf. Mein Herzschlag beschleunigte sich, kalter Schweiß drückte sich auf meine Stirn, in meine Handflächen. Ich stand auf.
„Das bin ich“, sagte ich und räusperte mich, weil meine Stimme viel zu hoch klang. Die Frau führte mich in den Raum und vor die Jury. Ich merkte, dass meine Knie zitterten, als ich die ganzen berühmten und genialen Köpfe in der Jury sitzen sah.
„Guten Tag, Frau Steger“, begrüßte mich ein Mann freundlich – und auf Englisch. Für eine Sekunde war ich völlig überfordert, aber dann gelang es mir, ebenfalls ins Englische zu wechseln.
„Guten Tag“, erwiderte ich und reichte ihnen meine Bewerbungsmappe. Der Mann blätterte sie kurz durch und strich dann sorgfältig etwas auf seiner Liste ab.
„Haben Sie Ihre Noten dabei?“, fragte er. Ich nickte und klappte die zweite Mappe auf.
„Ja.“
„Gut. – Sie werden
I have confidence singen, ist das richtig?“
Ich starrte auf die Noten, und sie verschwammen vor meinen Augen. Die Ecke eines zweiten Blattes rutschte ein wenig zur Seite. Ich zog es heraus.
„Nein“, erwiderte ich langsam, „ich habe mich umentschieden.“
Er wirkte nicht überrascht oder genervt. Er nickte einfach.
„Ich werde
Smoke gets in your eyes singen“, erklärte ich und gab dem Pianisten die Noten. „Von den
Blasters. – Ich hoffe, das ist kein Problem?“
„Aber nein, wenn Sie sich damit wohler fühlen“, lächelte er. Ich trat wieder in die Mitte des Raumes und atmete aus.
„Gut, dann… fange ich jetzt an.“
Der Pianist spielte die ersten Töne, und das Zittern in meinem Innern wurde kurz unerträglich. Dann fiel es von mir ab, alles fiel von mir ab, und meine Stimme war frei und klar, als ich zu singen begann. Ich fühlte mich befreit und erfüllt, als ich endete.
„Sie werden von uns hören“, sagte die Frau neben dem Mann. „Aber um sie nicht ganz ohne Kritik gehen zu lassen: Ihre Stimme gefällt uns sehr gut, Sie haben eine Ausstrahlung, die sich mit der Rolle verbinden könnte.“
„Vielen Dank!“ Ich war erleichtert. Und als ich den Raum verließ, drückte ich meine Daumen, so fest ich konnte: ich musste diesen Job einfach bekommen!
Ich wurde in die zweite Runde eingeladen. Der Anruf kam, als ich mitten in den Proben für Marius’ Konzert war, und ich konnte mich kaum mehr auf etwas anderes konzentrieren als auf meine neue Audition.
Diesmal sang ich
I have confidence. Und kam wieder weiter. Mit jedem Anruf wurde die Anspannung größer, mit jeder neuen Runde bekam ich größere Angst – ich wollte nicht kurz vor meinem Ziel rausfliegen! Es wurde eine Choreographie aus dem Stück mit uns erarbeitet, und ich dankte meiner Liebe zu
Tanz der Vampire, dass ich einige Schritte schon kannte.
Und nun hieß es warten. Warten. Warten… Während Marius' erstes Konzert stattfand, während wir gehetzt umherreisten und Autogramme gaben, Pressetermine erfüllten, probten, Städte erkundeten...
Das Telefon klingelte in meinen Fingern, schrill und fordernd. Ich zuckte zusammen und landete wieder im Jetzt. Kurz war ich verwirrt – meine Gedanken streiften schon den ganzen Tag in der Vergangenheit umher, Tag für Tag reihte sich aneinander und ergab ein buntes Puzzle. Ich ging ans Telefon.
„Steger?“, sagte ich.
Und das war er. Max Arendt, der Intendant des Theater des Westens. Er sagte eine Menge, das ich nicht verstehen konnte, denn seine ersten Worte schwebten in meinem Kopf und überlagerten alles: „Sie sind ins Ensemble aufgenommen und werden außerdem das Cover der Sarah.“