Mich trägt mein Traum

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Ophelia
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 08.08.2014, 14:14:42

Puh, nach einer rabenschwarzen Blockade geht's endlich weiter. Gut, dass ihr mich an euer Interesse erinnert habt! :handgestures-thumbupright:

Ich stand still, geblendet und gerührt. Vor mir leuchtete der Bühnenboden im Licht der Scheinwerfer. Der Applaus rauschte in meinen Ohren wie ein Meer der Euphorie. Vorbei war alles, was ich denken konnte. Aus und vorbei.
Für die letzte Szene traten wir alle noch einmal auf die Bühne und stellten uns in einer langen Reihe auf. Die Zuschauer, die dachten, das Stück sei vorbei, waren einigermaßen verwirrt, als der Vorhang sich noch einmal öffnete und ein einzelner Scheinwerfer sich auf Aubrey richtete.
„Ich weiß noch, wie ich den Brief bekam“, begann sie leise, beinahe mit träumerischer Stimme. „Ich wagte es nicht, ihn zu öffnen.“
„Was sollte werden, wenn ich nicht genommen bin?“, fuhr Michael fort. „Ich glaube nicht, dass ich etwas anderes tun könnte. Die Bühne ist mein Leben.“
„Aber sehr geehrte Frau Berger, wir freuen uns sie an unserer Schule aufnehmen zu können stand da“, sagte Emilia.
„Und ich stand vor der Schule und wusste: jetzt beginnt ein neues Leben“, ergänzte Sarah.
„In dem ich nur tue, was mir gefällt“, sagte ich, „und mir sage: lass die anderen reden.“
„Manchmal ist es schwer, ich selbst zu sein. Es ist schwer, zu erkennen, wer ich wirklich bin“, sagte Mark. Ich dachte automatisch an ihn, wie er die Bibliothek zerstörte.
„Und manchmal tut es auch weh“, fuhr Isabelle fort. Ich sah, dass sie schon wieder weinte.
„Aber ich kämpfe, ich finde Freunde.“ Ich merkte, dass Liam ebenso aufgeregt war wie wir alle, denn sein Akzent war deutlich zu hören.
„Und manche verliere ich wieder“, meinte Anna.
„Aber ich gebe nie auf“, beendete Aneta.
Ich lugte vorsichtig nach links. Sarah lächelte mir zu, aber es wirkte verkrampft, und da begriff ich es endlich: es war vorbei. Mrs. Paige setzte sich ans Klavier uns begann zu spielen. Dein Part, Anouk. Ich trat zwei Schritte vor. Du meine Güte, wieso hatte ich mich hierauf eingelassen? Ich war völlig fertig! Aber es nützte nichts: ich musste What I did for love singen – zum Glück unterstützten meine Mitschüler mich als Chor. Ich brachte es ganz gut hinter mich, auch wenn gegen Ende die Tränen flossen. Wir entschieden uns spontan, Mich trägt mein Traum als Chor zu singen. Michael packte seine Okulele aus, und ein letztes Mal sangen wir gemeinsam als Klasse. Wir hielten uns an den Händen, während wir sangen, von unseren Träumen und unserer Berufung, und als das Lied vorbei war und das Publikum aufstand, fielen wir uns in die Arme und weinten. Vor Freude, vor Trauer, vor Erleichterung.
Allerdings wurden unsere Gefühlsausbrüche kurz durch das hektische Chaos hinter der Bühne unterbrochen: Kleider anziehen, Krawatten binden, Haare frisieren, nachschminken… Es war chaotisch und unorganisiert, wir liefen über unsere eigenen Klamotten und drängten uns vor den Spiegeln, um für die feierliche Zeugnisvergabe angemessen auszusehen.
„Kannst du sehen, ob die Spange noch festsitzt?“, fragte Sarah, als ich ihren Reißverschluss zuzog.
„Alles perfekt“, beruhigte ich sie und sie drehte sich um und musterte mich. „Ich kann nicht glauben, dass es vorbei ist“, sagte sie (es war der Satz des Abends).
„Ich auch nicht!“, bestätigte ich und warf einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel: mein dunkelrotes Kleid war definitiv ein Glücksgriff gewesen – nicht zu protzig und nicht zu schlicht.
Wir wurden einzeln auf die Bühne gerufen, bekamen unser Zeugnis, einen Händedruck – und das war’s.
Ab heute waren wir anerkannte Musicaldarsteller.

Die anschließende Feier in einem edlen Restaurant war ein wundervolles, vertrautes Beisammensein. Nach einer ebenso kurzweiligen wie unterhaltsamen Rede von Michael und Aubrey verbrachten wir mehrere Stunden damit, immer wieder über das Buffett herzufallen, zu reden, zu tanzen – und natürlich zu singen. Irgendein Elternpaar hatte es witzig gefunden, eine Karaoke-Maschine zu bestellen, und es dauerte nicht lange, ehe sie besetzt war.
„Schatz, willst du nicht auch mal singen?“, fragte Mama (die tatsächlich neben meinem Vater saß, wenn auch recht schweigsam).
„Ach“, erwiderte ich, „ich werde noch so viel singen…“
„Komm schon Anouk“, mischte sich Mark ein. „Da ist ein Song, den wollten wir schon immer mal von dir hören.“
„Ja, komm!“ Emilia zog mich hoch und ich stolperte beinahe über meinen Saum.
„Was habt ihr euch ausgesucht?“, fragte ich resigniert. „Ich gehör nur mir?
Michael runzelte die Stirn. „Nein, aber danke für den Tipp.“ Er drückte mir das Mikro in die Hand.
I dreamed a dream?“, fragte ich entsetzt. „Kommt gar nicht in die Tüte! Ich bin überhaupt nicht vorbereitet!“
„Flexibilität wird auf deiner Homepage aber sehr groß geschrieben!“, entgegnete Liam lachend. „Komm schon. Dann singe ich auch Total eclipse of the heart mit dir“, lockte er mich. Diesem Angebot konnte ich natürlich nicht widerstehen. Ich sang I dreamed a dream und fühlte mich großartig, und Liam hielt tatsächlich sein Versprechen: gemeinsam sangen wir das Duett, und ich wagte das erste mal ganz bewusst zu träumen: wenn ich die Augen schloss, trug ich ein weißes Nachthemd und rote Stiefel, und meine Haare waren braun und lockig. Und Liams Zähne waren lang und spitz, sein Gesicht bleich und schmal.
In diesem Moment glaubte ich so fest daran, dass ich es schaffen würde, dass ich an einem Erfolg gar nicht zweifeln konnte.
An diesem Abend war alles möglich.
Was ich rette, geht zu Grund
Was ich segne muss verderben
Nur mein Gift macht dich gesund
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon little miss sunshine » 08.08.2014, 17:34:02

Bitte lass das noch nicht das Ende sein!
Dieser Teil ist wieder sehr schön geschrieben :),auch wenn du wieder mit dem Zeitraffer gearbeitet hast.
Ich würde gerne wissen,wie es mit Anouk (und den Anderen) nach der Ausbildung weitergeht.
Das Ende von dem Abschlussstück hätte Jamie bestimmt auch gefallen...
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 09.08.2014, 14:36:03

Es ist noch lange nicht das Ende ;)
Ja, der Zeitraffer muss ab und zu sein, einerseits weil ich keine Ideen habe, und zweitens würde es sich sonst ziemlich ziehen... Ihn versuche aber, ihn nicht zu oft zu verwenden.

Premiere: Sweeney Todd in Düsseldorf
Blutpasteten diesmal nur mittelmäßig
Dass es sich bei dieser Inszenierung bloß um einen Lückenfüller handelt, dürfte den meisten klar sein – vorausgesetzt, sie haben das Saisonprogramm gelesen. Dass aber auch ein Lückenfüller durchaus seine Vorzüge haben kann – und sollte – ist den Verantwortlichen offenbar entgangen. Denn wie lässt es sich sonst erklären, dass Sondheims eigenwillige und anspruchsvolle Partitur so lasch vorgetragen wurde, dass selbst die Sänger auf der Bühne beinahe einschliefen? Wer genau hingehört hat, und das dürften in einem Musical die meisten tun, dem könnte augenblicklich das Bild eines lustlosen Dirigenten und eines stark dezimierten Orchesters vor dem inneren Auge aufgegangen sein. Gerade bei diesem Werk ist ein ausgewachsenes Orchester allerdings von enormer Wichtigkeit, um die tragende, teils sehr schwere und melancholische Komposition in all ihren Facetten widerspiegeln zu können.
Nach dem Erfolg von Die Schöne und das Biest (Derniere s.S. 14) und dem enormen Andrang auf freie Plätze für die anstehende Inszenierung der Rocky Horror Picture Show darf Geldmangel kein Wort sein, dass in der Erklärung für das reduzierte Orchester vorkommt. Ist es auch nicht! Genauer gesagt umgeht man geschickt die Fragen der irritierten Besucher und Reporter.
„Sondheims Musik ist einzigartig“, so van de Kraaijenberg. „Sie erfordert eine tiefe Konzentration und ein völliges Verschmelzen mit ihr, um ihre Klänge nachvollziehen zu können. Unser Orchester, die Crème de la Crème aller deutschen Musiker, ist erlesen.“
Nun, zumindest diese Crème können sie getrost mit in die Pasteten geben – sie werden den Geschmack auch nicht mehr reißen. Um die Zeit zwischen zwei großen Produktionen zu füllen, hätte der Intendant sich kein besseres Stück aussuchen können: Sweeney Todd genießt genug Beliebtheit, um den Saal in der Produktionszeit zu füllen. Dass diese Beliebtheit ausgenutzt wird, ist allerdings kaum zu übersehen: das Bühnebild ist eher schwach, der Begriff moderne Inszenierung drängt sich einem gefährlich deutlich auf. Zu loben allerdings ist die Arbeit mit dem Licht, die atmosphärisch einiges wieder wettgemacht hat: ob mörderisches Rotlicht, melancholisches Grau oder hasserfülltes Gleißen: die teilweise recht schnellen Lichtwechsel sind harrgenau abgestimmt auf die oft sehr schwankenden Gemütszustände der Rollen und ziehen den Besucher in einen pulsierenden Bann.
Um unsere Kritik ein wenig zu heben, sollten auch die Vorzüge dieser Inszenierung nicht verschwiegen werden. Diese bilden eindeutig die Darsteller: Markus Beese brilliert als rachegetriebener Sweeney Todd mit kehliger und höchst ausdrucksstarker Stimme. Verblassen kann dadurch die Erscheinung der Mrs. Lovett aber keineswegs: Marijke Arendt gelingt der komplizierte Drahtseilakt zwischen Geltungssucht und heimlicher Liebe, zwischen dem alles-für-ihn-Tun und der wissenden Verzweiflung, Sweeneys rabenschwarzen Hass auf die Menschheit niemals bändigen zu können.
Patrick Meyer als Richter Turpin ist ebenfalls ein Glücksgriff: mit Erfahrung, Ironie und angenehmem Bariton gewinnt der Bösewicht das Publikum im Handumdrehen gegen sich – im Zusammenspiel mit einem hervorragenden Büttel Bamford, gespielt von Sebastian Kuhn, kann den Zuschauern auch schon mal der ein oder andere unbehagliche Lacher entlockt werden.
Anouk Steger in der Rolle der Johanna ist eine Offenbarung – hier bewies van de Kraijenberg, dass er wenigstens diesen Markt kennt und zu schätzen weiß: die frisch gebackene Musical-Darstellerin überzeugt nicht nur mit glockenklarem Sopran, sie weiß auch ihre unverfälschte Jugendlichkeit geschickt in die Rolle einzubringen und beschert dem Besucher so einige schillernde Ohren- und Augenschmäuse.
Große Enttäuschung des abends ist – neben dem Orchester – Jakob Bruckner als Anthony Hope. Viel Hoffnung war bei ihm nicht zu erkennen, vielmehr eine große Unsicherheit. Gepaart mit einigen Zeilenverdrehern und Texthängern kann man gut und gerne behaupten, dass er es nicht mehr „lange machen“ wird.
Fazit: ein Lückenfüller, der diesen Status nicht ablegen kann. Eine konzertante Inszenierung mit vollem Tonband-Orchester wäre hier sicher die klügere Idee gewesen.


Ich seufzte und legte die Zeitung beiseite.
„So schlimm ist es doch gar nicht!“, meinte Mama und blätterte noch einmal durch die Seiten. Ich sah auf. „Sie haben es verrissen!“, entgegnete ich. „Diese ständigen Anspielungen auf das Orchester, das Bühnenbild, der arme Jakob… Und das schlimme ist, dass sie Recht haben!“
Sie sah mich über den Rand des Magazins an. „Na, das ist ja ein nettes Urteil über deinen Kollegen.“
„Ach, den meine ich doch gar nicht!“, rief ich. „Ich rede vom Orchester! Es hört sich geradezu dünn an. Du meine Güte, ich wusste das vom ersten Tag an. Aber als Darsteller kannst du dir nicht erlauben, daran rumzumäkeln.“
Mama schaute nachdenklich auf die Fotos. „Immerhin loben sie dich“, meinte sie. Ich schnaubte. „Ja, aber alles in allem ist es eine durchweg schlechte Kritik.“
„So ein Unsinn!“ Sie knallte die Zeitung auf den Tisch. „Sei nicht immer so negativ mit dir selber! Mir hat die Premiere gefallen, mir hat alles gefallen!“, sagte sie nachdrücklich.
„Dir wird immer alles gefallen“, entgegnete ich mürrisch, „weil du meine Mutter bist.“ Ich stand auf und nahm meine Tasche. „Ich muss wieder los“, sagte ich.
„Lass dich davon nicht runterziehen!“, rief sie mir nach, aber ich schlug die Türe hinter mir zu und machte, dass ich fort kam. Schon nach wenigen Metern kam ich mir schäbig vor – sie konnte nichts dafür, dass das Stück in nahezu allen Kritiken bestenfalls als mittelmäßig bewertet wurde. Dass ich meistens glimpflich davon kam, machte es trotzdem nicht besser. Ich zückte mein Handy und tippte auf Liams Kontakt. Schon nach dem zweiten Klingeln ging er ran.
„Sie sprechen mit dem Vicomte Raoul de Chagny“, meldete er sich in gediegenem Ton, „was kann ich für Sie tun?“
„Sehr witzig, Liam“, erwiderte ich, aber ich musste schon grinsen.
„Ah, ein zartes Stimmchen dringt an mein Ohr. Kann es Johanna Turpin sein? Ein Ferngespräch aus dem regnerischen England, wie aufregend!“
„Bist du betrunken?“, fragte ich.
„Nein, gar nicht“, antwortete er, diesmal mit seiner richtigen Stimme. „Obwohl – kann man betrunken vor Glück sein?“
Ich lächelte. „Kann man ganz bestimmt. Warum bist du’s?“
„Abgesehen davon dass du anrufst“, antwortete er, „sitze ich gerade in der Maske und werde zu Raoul. Ich habe meine Cover-Premiere!“
„Was? Oh, Liam, das ist ja wunderbar! Und ich kann nicht dabei sein!“
„Mach dir nichts draus“, tröstete er mich. „Wenn wir erst mal berühmt genug sind, werden wir gemeinsam die Bühnen der Welt erobern!“
„Ja, wenn“, sagte ich resigniert.
„Was ist los?“, wollte er wissen, als er meinen niedergeschlagenen Tonfall bemerkte.
„Hast du die Kritik für Sweeney nicht gelesen?“, fragte ich.
„Die Zeitung liegt hier“, gab er zu, „aber ich habe sie noch nicht gelesen.“
„Vielleicht ist es sogar besser, du lässt es.“
„Ist es so schlimm?“
„Ja“, bestätigte ich. Meine Augen brannten. „Mist, jetzt muss ich auch noch heulen. So habe ich mir mein Engagement nicht vorgestellt!“
„Kopf hoch, Anouk!“, mahnte er mich. „Du kannst nicht erwarten, dass jedes Engagement ein Kassenschlager wird! Sieh dir Mark an – Shrek kommt so schlecht an, dass die Spielzeit gekürzt wurde! Und Emilia ist kreuzunglücklich in ihrem Ensemble, weil der Regisseur sich auf nichts festlegen kann. – Im Ensemble ist doch alles gut, oder?“, hakte er besogt nach.
„Ja, das allerdings!“, sagte ich nachdrücklich und trat durch die Stagedoor. „Es macht wirklich Spaß, mit ihnen zu arbeiten.“
„Na siehst du.“ Es knackte und rauschte, und kurz darauf ertönte ein Ratschen. „Anouk? Ich muss Schluss machen. Wünsch mir Glück!“
„Toi, toi, toi!“, rief ich in den Hörer, ehe er auflegte. Mir ging es schon viel besser, als ich in meiner Garderobe ankam. Lass dich nicht von diesen Kritiken ärgern!, sagte ich streng zu mir. Sei überzeugt von dem, was du machst! Ich klappte meinen Laptop auf, um meine Mails nachzusehen – Viktoria, meine Agentin, hatte mir irgendetwas schreiben wollen. Ich sah auf die Uhr, während mein Postfach mir mitteilte, dass es dringend geleert werden wollte. Bis zur Aufführung waren es noch gut zwei Stunden – ich musste mich dringend aufwärmen! Ich warf einen Blick auf den Bildschirm – endlich! Da war die versprochene Mail mit dem Betreff: Auditions. Ich klickte sie an.
Hallo Anouk, anbei einige Auditionausschreibungen für die nächste Zeit. Du wirst nach Sweeney Todd zwar trotzdem etwas auf dem Trockenen sitzen, aber wenn du Glück hast, nicht sehr lange. Viel spaß heute Abend! Viktoria. Die Kritiken erwähnte sie mit keinem Wort. Sie kannte mich inzwischen sehr gut und wusste, wann sie was schreiben konnte – und wann es mich entmutigen würde. Ich klickte mich durch die Ausschreibungen. Elisabeth in Ludwig II, erneut Maria in Westsidestory, Ensemble Grease, Ensemble Jesus Christ Superstar… Es waren so viele Rollen! Ich beschloss, mich am spielfreien Montag damit zu befassen und stattete meiner Liebling-Musical-Internetseite noch schnell einen Besuch ab – sie war berühmt für ihre schnellen und zuverlässigen Meldungen.
Und was mir da entgegensprang, verschlug mir den Atem!
Was ich rette, geht zu Grund
Was ich segne muss verderben
Nur mein Gift macht dich gesund
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon little miss sunshine » 09.08.2014, 20:37:56

Du kannst doch an der Stelle nicht aufhören...?! :shock:
Aber toller Teil,auch die Kritik. Und schön,dass Anouk durch das Gespräch mit Liam wieder etwas Mut bekommt.
Beruhigend zu wissen,dass es noch weiter geht mit der Geschichte ;)
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 10.08.2014, 15:53:47

Oh zwei tolle neue Teile!
Sehr schade, dass die Abschlussaufführung nur so kurz beschrieben wurde :( Davon hätte ich gern mehr gelesen!
Die Kritik ist richtig gut geschrieben, Hut ab!
Der Cliffhanger ist sehr gemein. Darf ich nen Vorschlag machen? TdV kommt wieder nach Deutschland? Oder Castwechsel bei TdV`? *g* Oder doch ne Kritik zu Sweeny?
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 10.08.2014, 18:11:56

Danke ihr zwei :)
Gaefa hat geschrieben:Sehr schade, dass die Abschlussaufführung nur so kurz beschrieben wurde :( Davon hätte ich gern mehr gelesen!
Die Kritik ist richtig gut geschrieben, Hut ab!

Das mit der Abschlussaufführung tut mir auch total leid, aber ich hatte absolut keine Ideen mehr... Dafür hab ich mich bei der Sweeney-Kritik ins Zeug gelegt - und die kommenden Teile werden ebenfalls spannend ;)
Gaefa hat geschrieben:Der Cliffhanger ist sehr gemein. Darf ich nen Vorschlag machen? TdV kommt wieder nach Deutschland? Oder Castwechsel bei TdV`? *g* Oder doch ne Kritik zu Sweeny?

Jetzt kann ich's natürlich nicht länger für mich behalten...

Tanz der Vampire: Großes Revival im nächsten Herbst
Pünktlich zu Halloween kehrt Deutschlands beliebtes Musical Tanz der Vampire zurück in die Hauptstadt. Polanski kündigte an, das Stück „in vertrauter Atmosphäre und neuem Glanze“ auf die Bühne zu bringen – sehr zur Freude aller Fans. Diese Meldung kam so überraschend, dass… (weiterlesen)
Zu den Auditions
Ich klickte auf den untersten Link, ganz benommen. Da stand die Rollenbeschreibung. Die Audition für Sarah würde im Januar stattfinden. Ich konnte kaum atmen, alles in mir war bis aufs Äußerste gespannt. Ich wurde von einer quälenden Hektik befallen; mit zitternden Fingern griff ich nach meinem Handy und brauchte zwei Anläufe, um auf Viktorias Kontakt zu tippen. Sie meldete sich nach einer schier endlos langen Zeit.
„Viktoria, ich brauche einen Auditiontermin“, platzte ich heraus, kaum dass sie sich meldete. „Für Tanz der Vampire. Als Sarah.“
Tanz der Vampire?“, wiederholte sie, und erst jetzt fiel mir das Rauschen und Stimmengewirr im Hintergrund auf.
„Ja“, sagte ich ungeduldig, „für nächsten Herbst in Berlin.“
„Äh – das habe ich grade nicht auf dem Schirm“, gestand sie. „Seit wann ist das denn raus?“
Ich warf einen Blick auf den PC. „Seit ungefähr fünf Minuten“, antwortete ich.
„Ach so.“ Sie wirkte erleichtert. „Hör mal, ich bin gerade auf dem Weg zu einem anderen Darsteller. Glaubst du, du überlebst es bis morgen, dich da nicht anzumelden? Dann gehen wir alles gemeinsam durch und erstellen die Unterlagen.“ Es war ungewöhnlich, dass sie so kurzfristig einsprang – sie wusste, wie wichtig mir diese Rolle war.
„Danke, Viktoria!“, sagte ich aus tiefstem Herzen.
„Und jetzt weg mit dem Handy!“, befahl sie streng. „Du musst gleich auf der Bühne stehen, und zwar als Johanna!“
Ich behielt den Kommentar „Ob ich mich darauf konzentrieren kann?“ für mich und legte auf. Überglücklich – und überängstlich.

Die Zeitungen revidierten ihre durchwachsenen Kritiken nicht. Irgendwann hörte ich auf, sie zu lesen, ebenso wie die vielen Showberichte in diversen Foren. Stattdessen beantwortete ich fleißig Fanpost, konzentrierte mich ganz auf meine Rolle, besuchte die Auditions, die mit einem eventuellen TdV-Engagement vereinbar wären. Alles, was zählte, war Tanz der Vampire. Ich arbeitete doppelt so sorgfältig als gewöhnlich an meinen Bewerbungsunterlagen, ich recherchierte verbissen nach geeigneten Songs. Das alles liegt erst so kurz zurück und doch scheint es so unendlich weit, dass ich es gar nicht einordnen kann. Ich entschied mich für den Song Wann trägt der Wind mich fort, dann entschied ich mich wieder um – I have confidence. Oder doch besser Nur für mich, das mir bisher immer Glück gebracht hatte?
„Wie wäre es denn mit Smoke gets in your eyes?“, fragte Sarah, als ich mit ihr darüber am Telefon sprach. „Das war das beste, das ich je von dir gehört habe, glaube ich.“
„Ja, aber es ist kein klassischer Mucialsong“, wand ich ein.
„Na und? Du hast es so schön klassisch gesungen. – Was hast du noch im Angebot?“
„Ich dachte eigentlich an I have confidence. Ich hab’s mal mit Mrs. Paige geübt.“
„Hm“, machte sie.
„Es würde gut zu Sarah passen: es hat unsichere Passagen, aber auch sehr sichere und… kokette? Ach mann, ich weiß es nicht.“
„Du machst das schon“, sagte sie beruhigend. „Höre einfach auf dein Herz.“
Auf mein Herz hören, ja. Aber wie, wenn es so undeutlich sprach?

Ich glaube, Existenzangst ist etwas, womit man als Schauspieler unbedingt umgehen können muss. Ich zumindest musste es lernen, und zwar sehr schnell: die Audition für Tanz der Vampire war Anfang Januar, die Zu- oder Absagen der anderen Auditions standen noch aus. Und selbst wenn ich eine Zusage bekam, würde das früheste Engagement Ende Februar beginnen. Meine Mutter versicherte mir zwar ständig, mich in der Anfangszeit finanziell zu unterstützen, aber es war trotzdem ein beklemmendes Gefühl, das sich da einstellte: ich würde vielleicht mein ganzes Leben lang sporadische Zeitspannen haben, in denen mein Geld mehr als knapp war. Das machte mir Angst.
Allerdings hatte meine Rebecca-Zeit mir schon viele gute Kontakte beschert, und die waren jetzt zu meinem Vorteil:
Ich hetzte durch die Stadt, den Arm voller Einkaufstüten, als mein Handy losklingelte. Ganz laut dröhnte Der ewige Kreis aus meiner Tasche, und alle Leute starrten mich an, bis ich dran ging.
„Ja?“, fragte ich und setzte ein „Steger“ hinterher, weil ich nicht aufs Display geschaut hatte.
„Hallo Anouk, hier ist Marius“, kam es fröhlich aus dem Hörer.
„Marius!“, rief ich begeistert und quetschte mich auf den letzten Drücker in die übervolle S-Bahn.
„Ich habe gehört, du hast bald eine Trockenphase?“
„Wer hat dir das denn erzählt?“, fragte ich und klemmte mir meine Tüten zwischen die Füße.
„Tja, ich habe so meine Beziehungen“, sagte er. Aber dann antwortete er doch ernst: „Ich weiß es von deiner Agentin. Ich habe sie angerufen.“
„Angerufen? Warum?“ Ich verstand gar nichts mehr.
„Na ja, wie du bestimmt weißt, gebe ich bald ein paar Konzerte.“ Wusste ich nicht - zu meiner Beschämung. „Na, ein paar ist untertrieben. Es sind genau zwanzig, in der Zeit vom siebten Januar bis zum ersten März. Ich hätte dich gern dabei. Allerdings wird es ziemlich stressig.“
„Mich dabei?“, echote ich ungläubig.
„Ja. Ich singe ein paar Duetts und du würdest natürlich ein Solo bekommen. Oder von mir aus zwei, wenn du magst. Es sind noch zwei andere Gäste dabei, darunter Muriel. Also, bist du dabei?“
„Äääh…“
„Mit Viktoria habe ich alles besprochen; dein Terminkalender ist für meine Konzerte frei, wenn du zusagst.“
„Okay“, antwortete ich.
„Okay?“, hakte er nach. Ich holte tief Luft.
„Okay – ich bin dabei.“
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 10.08.2014, 18:31:51

Juhu, ich hatte Recht *g*. Ich drücke Anouk alle erdenklichen Daumen für ihre Traumrolle - und wenns erstmal ein Cover wäre. Erfahrung im Ensemble stünde ihr sicherlich auch nicht schlecht.
Und das Angebot von Marius ist klasse! Das hätte sie sich vor ihrer Ausbildung sicherlich nicht träumen lassen oder wäre bei dem Gedanken fast in Ohnmacht gefallen, bei seinen Konzerten mitzuwirken ;)
Ich bin gespannt darauf, wie es weitergeht.
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon little miss sunshine » 10.08.2014, 20:50:47

Dass Marius ihr die Tour anbietet,find ich klasse!
Vllt ergibt sich daraus ja auch noch etwas ganz anderes.
Nicht,dass ich Anouk ihre Traumrolle nicht wünsche,aber irgendwie verläuft mir das nun doch etwas zu glatt (bzw als Cover hätte sie zwar ihre Traumrolle vor Augen,aber sie müsste noch auf den richtigen Moment warten...)^^
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 11.08.2014, 14:02:23

little miss sunshine hat geschrieben:Nicht,dass ich Anouk ihre Traumrolle nicht wünsche,aber irgendwie verläuft mir das nun doch etwas zu glatt (bzw als Cover hätte sie zwar ihre Traumrolle vor Augen,aber sie müsste noch auf den richtigen Moment warten...)^^

Das ist nur die Ruhe vor dem Sturm. Versprochen ;)
Im Laufe dieses Teils werden wir übrigens in der Jetzt-Zeit ankommen - ich hoffe, der 1.-Person-Präsens-Schreibstil stört nicht so sehr. Er ist zwar etwas ungewohnt, aber ich mag ihn ganz gern.

Die Derniere bei Sweeney Todd war, trotz der Schwierigkeiten mit der Presse, wunderschön und traurig. Mein erstes Engagement als richtige Musicaldarstellerin war etwas besonderes, und ich war sehr niedergeschlagen, dass es vorüber ging. Daran musst du dich nun gewöhnen, sagte ich mir, als ich den Applaus entgegennahm. Ich sah die Zuschauer, schemenhaft, die sich wie eine Welle erhoben und klatschten, fahl im warmen Scheinwerferlicht. Du hast ihnen ein paar Stunden Flucht ermöglicht, ein paar Stunden Vergnügen. Ich wusste, es würde nie einfacher werden, sich von gerade liebgewonnenen Menschen zu trennen. Aber irgendwann würde man dem Zeitpunkt gefasster entgegentreten und ihn gefasster hinter sich bringen. Ich ergriff Jakobs Hand, und ein letztes Mal verbeugten wir uns, ehe der Vorhang mit einem leisen Rauschen fiel.
Aber ich war auch aufgeregt. Ich war bereit für neues, und wie ich das war! Für Marius’ Konzert musste geprobt werden, und diese Proben machten großen Spaß. Schon nach einer kurzen Begrüßung setzte er sich mit Muriel, Niklas (ein Darsteller, der nur ein Jahr mehr Erfahrung hatte als ich) zusammen und führte uns seine ersten Ideen vor:
„Ich würde gerne zwei, drei Duette haben“, begann er, „und ein oder zwei Solos.“ Er sah uns der Reihe nach an. „Bei den Solos lasse ich euch freie Wahl. Allerdings würde ich gerne mit Muriel Ein gefährliches Spiel aus Jekyll&Hyde singen.“ Muriel nickte erfreut.
„Und mit Anouk Wenn ich tanzen will aus Elisabeth.“
„Sehr gerne“, antwortete ich, wenn auch ein wenig überrascht. Ich hätte darauf getippt, dass wir Totale Finsternis oder irgendetwas aus Rebecca singen würden. – Aber man musste schließlich auch dem Neuen Platz lassen.
„Niklas“, wandte er sich an den letzten in der Reihe, „Die Schatten werden länger?“
„Das habe ich mir fast gedacht“, lachte Niklas. „Bin dabei. Dürfte ich direkt ein Solo vorschlagen?“
„Klar. Am besten, ihr überlegt euch alle, was ihr gerne singen würdet – ob ihr ein Duett mit jemand anderem wollt, ein eigenes Solo… Ich bin da ganz offen.“
„Ich würde dann Dunkles Schweigen an den Tischen nehmen“, sagte Niklas. Marius grinste.
„Wen wundert’s?“, fragte er. An uns gewand erklärte er: „Niklas hat seit gestern Gewissheit, dass er als Marius in Les Miserables engagiert ist.“
„Oh, herzlichen Glückwunsch!“, sagte Muriel, und ich gratulierte ebenfalls. Allerdings wusste ich noch gar nicht, was ich singen wollte.
„Macht nichts“, tröstete Marius mich. „Ich kann mir schon denken, dass du im Moment auch anderes im Kopf hast.“
Das war wahr. Denn die Audition stand unmittelbar bevor. Die nächsten zwei Tage vergingen, ohne dass etwas nennenswertes geschah; es war beinahe unheimlich ereignislos.
Und dann war da die Audition.
Muriel begleitete mich auf dem Hinweg nach Berlin, wofür ich ihr unendlich dankbar war: ich war so aufgeregt, dass mir fast die Tränen kamen. Ich trug ein nagelneues, dunkelblaues Kleid, ich hatte meine beste Bewerbung dabei, und ich hatte einen Song.
Und ich wusste immer noch nicht, ob er der richtige war.
„Ich wünsche dir alles Gute!“, flüstere Muriel in mein Ohr, als wir uns umarmten. Ich ging in das Theater, in dem die Audition stattfand, und alles kam mir ganz unwirklich vor. Überall junge Frauen, bekannte und berühmte Gesichter. Unsicherheit, Einsingen, abschätzige Blicke. Kurze Gespräche – betont freundschaftlich. Ich starrte gegen die Wand, ging meinen Song durch. I have confidence, dachte ich, immer wieder. Aber es klang hohl.
„Anouk Steger?“
Ich blinzelte und sah auf. Mein Herzschlag beschleunigte sich, kalter Schweiß drückte sich auf meine Stirn, in meine Handflächen. Ich stand auf.
„Das bin ich“, sagte ich und räusperte mich, weil meine Stimme viel zu hoch klang. Die Frau führte mich in den Raum und vor die Jury. Ich merkte, dass meine Knie zitterten, als ich die ganzen berühmten und genialen Köpfe in der Jury sitzen sah.
„Guten Tag, Frau Steger“, begrüßte mich ein Mann freundlich – und auf Englisch. Für eine Sekunde war ich völlig überfordert, aber dann gelang es mir, ebenfalls ins Englische zu wechseln.
„Guten Tag“, erwiderte ich und reichte ihnen meine Bewerbungsmappe. Der Mann blätterte sie kurz durch und strich dann sorgfältig etwas auf seiner Liste ab.
„Haben Sie Ihre Noten dabei?“, fragte er. Ich nickte und klappte die zweite Mappe auf.
„Ja.“
„Gut. – Sie werden I have confidence singen, ist das richtig?“
Ich starrte auf die Noten, und sie verschwammen vor meinen Augen. Die Ecke eines zweiten Blattes rutschte ein wenig zur Seite. Ich zog es heraus.
„Nein“, erwiderte ich langsam, „ich habe mich umentschieden.“
Er wirkte nicht überrascht oder genervt. Er nickte einfach.
„Ich werde Smoke gets in your eyes singen“, erklärte ich und gab dem Pianisten die Noten. „Von den Blasters. – Ich hoffe, das ist kein Problem?“
„Aber nein, wenn Sie sich damit wohler fühlen“, lächelte er. Ich trat wieder in die Mitte des Raumes und atmete aus.
„Gut, dann… fange ich jetzt an.“
Der Pianist spielte die ersten Töne, und das Zittern in meinem Innern wurde kurz unerträglich. Dann fiel es von mir ab, alles fiel von mir ab, und meine Stimme war frei und klar, als ich zu singen begann. Ich fühlte mich befreit und erfüllt, als ich endete.
„Sie werden von uns hören“, sagte die Frau neben dem Mann. „Aber um sie nicht ganz ohne Kritik gehen zu lassen: Ihre Stimme gefällt uns sehr gut, Sie haben eine Ausstrahlung, die sich mit der Rolle verbinden könnte.“
„Vielen Dank!“ Ich war erleichtert. Und als ich den Raum verließ, drückte ich meine Daumen, so fest ich konnte: ich musste diesen Job einfach bekommen!

Ich wurde in die zweite Runde eingeladen. Der Anruf kam, als ich mitten in den Proben für Marius’ Konzert war, und ich konnte mich kaum mehr auf etwas anderes konzentrieren als auf meine neue Audition.
Diesmal sang ich I have confidence. Und kam wieder weiter. Mit jedem Anruf wurde die Anspannung größer, mit jeder neuen Runde bekam ich größere Angst – ich wollte nicht kurz vor meinem Ziel rausfliegen! Es wurde eine Choreographie aus dem Stück mit uns erarbeitet, und ich dankte meiner Liebe zu Tanz der Vampire, dass ich einige Schritte schon kannte.
Und nun hieß es warten. Warten. Warten… Während Marius' erstes Konzert stattfand, während wir gehetzt umherreisten und Autogramme gaben, Pressetermine erfüllten, probten, Städte erkundeten...

Das Telefon klingelte in meinen Fingern, schrill und fordernd. Ich zuckte zusammen und landete wieder im Jetzt. Kurz war ich verwirrt – meine Gedanken streiften schon den ganzen Tag in der Vergangenheit umher, Tag für Tag reihte sich aneinander und ergab ein buntes Puzzle. Ich ging ans Telefon.
„Steger?“, sagte ich.
Und das war er. Max Arendt, der Intendant des Theater des Westens. Er sagte eine Menge, das ich nicht verstehen konnte, denn seine ersten Worte schwebten in meinem Kopf und überlagerten alles: „Sie sind ins Ensemble aufgenommen und werden außerdem das Cover der Sarah.“
Zuletzt geändert von Ophelia am 12.08.2014, 15:24:18, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 11.08.2014, 14:49:49

Wieder ein schöner Teil!
Es freut mich, dass sie das Cover bekommen hat und nicht direkt mit der First-Cast einsteigt. Allerdings bin ich nicht davon angetan, wenn du jetzt in Präsens weiterschreibst. Denn dann kommt sowas wie "er sagt eine Menge" nicht gut rüber. Eine zeitgleiche Beschreibung des Geschehens geht meines Erachtens kaum. Wenn ich hier ein Wort schreibe, dann kann ich im nächsten Moment sagen, ich schrieb es. Demnach sagte er viel, weil man es ja einen Moment später beschreibt und das Erzähltempus somit die Vergangenheit ist. Ich meine - okay, Caesar schreibt ständig im hisorischen Präsens, aber auch das ist schon seltsam genug. Weil es im Deutschen nun mal anders ist, übersetzt man das ja auch mit Präteritum... Ich finde es zwar gut, dass du in die Gegenwart wechselst, aber ich sehe nicht den zwingenden Grund damit auch das Erzähltempus zu wechseln... Der große Unterschied ist ja vor allem auch, dass keine Vorblenden oder Andeutungen mehr möglich sind, wenn man in der Jetzt-Zeit der Erzählung angekommen ist... Aber es ist ganz deine Entscheidung. Ich finde Präsens sehr seltsam zu lesen und mag Präteritum deutlich lieber. Ist meine Meinung als kleiner Leser, die Entscheidung obliegt natürlich dem Autor ;)
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 11.08.2014, 14:59:30

Ich verstehe, was du meinst. Ich habe im Moment auch noch Schwierigkeiten, im Präsens weiterzuschreiben - ich rutsche immer wieder in die Vergangenheit. Ich will nur verdeutlichen, dass Jetzt ist, aber es stimmt, ich kann einfach die Vorblenden weglassen... Danke auf jeden Fall für die Kritik, ich werde noch einmal genau drüberlesen und -nachdenken.
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 12.08.2014, 15:22:46

Mann, ich musste echt lange nachdenken, wie ich weiterschreibe! Aber Gaefas Argumente waren wirklich sehr überzeugend... Also wird weitergeschrieben wie bisher - aber nun ist nichts mehr nur Erinnerung, sondern Wirklichkeit ;)

„Was zur Hölle ist denn hier los?“, fragte Marius entgeistert. Das heißt, er musste schreien, um unser Kreischen zu unterbrechen: das erste, was ich tat, als ich im Probenraum ankam, war, Muriel von meinem Erfolg zu erzählen. Wir flippten sofort aus.
„Ich bin dabei!“, rief ich begeistert. „Bei Tanz der Vampire!“
Marius fiel in mein aufgedrehtes auf- und abhüpfen ein – ich wusste nicht, ob er mich veralberte oder es automatisch machte. „Als Sarah?“, fragte er.
„Nein, aber als Cover und Ensemblemitglied!“
„Wahnsinn!“ Er umarmte mich. „Herzlichen Glückwunsch!“
„Danke!“ Ich löste mich von ihm, ein breites Grinsen im Gesicht.
„Wisst ihr was?“, fragte Niklas. „Das müssen wir feiern. Ich sehe nach, ob es in der Bar noch Sekt oder so gibt.“ (Wir probten auf der Bühne eines kleines Stadttheaters.) Er machte sich davon, um die Bar zu plündern, und ich konnte mich wieder Marius’ Projekt zuwenden.
„Ich weiß jetzt übrigens auch, was ich singe“, sagte ich. Gestern entschied ich mich für I have confidence – das Lied war fröhlich und trug außerdem einen Teil zu meinem Vampir-Erfolg bei. Marius begrüßte meinen Vorschlag. „Ein englischsprachiger Song wird das Konzert auflockern“, urteilte er. Niklas kehrte zurück, eine Flasche Sekt in der Hand und vier Weingläser, die er mit einer Hand trug.
„Auf uns“, sagte er, als er feierlich den Sekt eingoss und verteilte. „Auf die tollen Konzerte, auf das heutige Konzert, auf unsere Engagements.“
Wir stießen an, und mit dem Alkohol durchfloss mich ein warmes, vollkommenes Glücksgefühl.
Das Konzert am Abend kam mir heute viel strahlender vor. Und als es vorüber war, holte Marius mich noch einmal für eine Zugabe auf die Bühne und wir sangen Totale Finsternis. Ich schäumte förmlich über vor Glück und fiel anschließend todmüde in mein Bett, in einen seligen Schlaf.

Ich wachte auf, weil es an der Türe klingelte. Schlaftrunken stand ich auf und stolperte zur Türe des Apartments, das von einer Familie vermietet wurde. Es dauerte eine Weile, bis ich das altmodische Schloss entriegeln konnte. Als ich die Türe aufriss, drückte der Paketbote gerade wieder fest auf die Klingel.
„Guten Morgen“, sagte er, als er mich bemerkte, und drückte mir eine weiße, quadratische und ziemlich große Schachtel in die Arme. „Eine Unterschrift, bitte!“
Ich legte den Karton vorsichtig ab und unterschrieb, dann schloss ich die Türe und kniete mich gespannt auf den Boden. Der Deckel lag lose auf und war nicht abgeklebt, und bei genauerem Hinsehen entdeckte ich hineingestochene Löcher. Mein erster Absurder Gedanke war: o Gott, ein Tier!, aber das kann ja gar nicht sein, ich hatte keines bestellt. – Und wer würde schon ein Tier in einem Karton verschicken? Trotzdem hob ich den Deckel sehr vorsichtig ab.
Es war natürlich kein Tier. In dem Karton lag ein riesiger Blumenstrauß – weiße Rosen, kleine Sträußchen Vergissmeinnicht und klatschrote Mohnblumen, zusammen mit einer Menge geradezu vornehm arrangiertem Grünzeug. Ich hob den Strauss vorsichtig auf und an einem der vielen schnörkeligen Seidenbänder, die darum gewickelt waren, hing ein Kärtchen. Ich klappte es mit zittrigen Fingern auf. Es war komplett vollgeschrieben, in winziger Schrift, die ich sofort erkannte.
Ein Blumenstrauß vom Pariser Maskenballbesucher, der manchmal auch Vicomte ist: herzlichen Glückwunsch, zehn dicke Umarmungen für deinen lang ersehnten Erfolg! Küsse gibt’s, wenn wir uns sehen. Du wirst ein umwerfender Vampir sein und eine tolle Sarah! Ich werde kommen, wenn du das erste Mal coverst, egal wie kurzfristig es ist. Ich liebe dich, Liam.
Ich wollte gar nicht wissen, wie viel dieser Strauss ihn kostete. Sorgfältig legte ich ihn auf mein Nachttischchen, und während ich nach einer Vase suchte, klemmte ich mir das Handy zwischen Schulter und Ohr und rief ihn an.
„Hm-ja?“, brummte es in den Hörer, reichlich verschlafen.
„Guten Morgen, du Spinner“, sagte ich lachend. „Ich habe gerade deine Blumen bekommen.“
„Und dafür musst du mich aus dem Bett klingeln?“, entgegnete er. Es knarrte und raschelte im Hintergrund.
„Wieso, bist du nicht alleine?“, fragte ich stichelnd.
„So ein Quatsch!“ Er gähnte ausgiebig, dann schien er etwas wacher zu sein. „Also, herzlichen Glückwunsch noch mal“, sagte er liebevoll. „Ich verspreche, ich werde bei der Premiere da sein. Vielleicht ist die Sarah-Darstellerin ja krank?“, sinnierte er hoffnungsvoll.
„Das wäre ja sehr gemein“, antwortete ich. „Nein, mir reicht es schon, Teil des Ensembles zu sein. Ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich ich bin!“
„Das glaube ich! Wann beginnen die Proben?“
„Ab vierten Juni“, antwortete ich. „Bis dahin toure ich mit Marius und muss mich noch nach einem Engagement umsehen.“
„Ich wünsche dir noch viel Glück!“, sagte er aufrichtig. „Ich komme vorbei, sobald ich kann!“
„Okay“, lächelte ich. „Ich liebe dich.“
„Ich liebe dich auch“, erwiderte er, ehe er auflegte. Ich lehnte mich gegen die Wand und betrachtete die Blumen. Und plötzlich war mir ganz warm ums Herz, während ein Teil von mir ihn furchtbar vermisste.
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 12.08.2014, 15:35:30

Hach wie schööön! Toller Teil. Ich freu mich für sie alle. Die Konzerte scheinen toll zu sein und die Unterstützung ihrer Freunde und die von Liam gönne ich ihr von Herzen. Ich bin sehr gespannt, wie ihre Zeit bei den Vampiren sein wird. Bitte bald weiter!
Ach ja: Danke für die Vergangenheitsformen, das liest sich schon viel angenehmer ;)
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Eponine Thénardier » 12.08.2014, 15:48:08

So, jetzt melde ich mich auch mal wieder als Leserin zu Wort: ich finde die Entwicklung der Geschichte und von Anouk sehr schön, auch dass Sweeney Todd kein sehr großer Erfolg war, hat mir als Wendung gefallen, da ja auch nicht immer alles rosig verlaufen kann.
Dass sie das Tanz der Vampire-Engagement bekommen hat, mag ich - mein erster Gedanke, als das Paket kam, war, dass Liam ihr rote Stiefel geschickt hätte ;) ich hätte mir aber auch vorstellen können, dass sie noch mal etwas von Daniel hört, der musste seine Ausbildung dann ja auch bald beendet haben, erfahren wir noch, was aus ihm geworden ist?

Zur Zeitform, mir gefällt es auch besser, dass du bei einer Zeit bleibst, das ist wirklich angenehmer zu lesen.
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Dori » 12.08.2014, 18:52:11

Ich melde mich auch mal wieder, meist lese ich einfach nur still mit. ;)

In der Vergangenheitsform gefällt es mir auch besser, so ist es wie ein Buch, das man liest.

Habe mich zuletzt schon gefragt, wo Liam steckt, aber dann tauchte er ja wieder auf, gut. :) Die Idee mit Marius Konzerten finde ich auch gut, da sind ja öfter junge Nachwuchsdarsteller dabei und Anouk hat etwas zu tun. Bin gespannt, wie es bei TdV weiter geht!

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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 13.08.2014, 15:02:35

Oh, schön, so viele Antworten :) Da bin ich ja erleichtert, dass ich mich für die Vergangenheitsform entschieden habe - es schreibt sich doch auch etwas angenehmer...
@Eponine: Gut, dass du mich an Daniel erinnerst. Manche Personen geraten sehr schnell in Vergessenheit bei mir :oops: . Ich werde ihn demnächst noch mal einbringen!

Ich ergatterte ein Engagement, das entgegen all meiner Vorstellungen war: eine vergleichsweise kleine Produktion eines Dortmunder Stadttheaters über Marilyn Monroe mit dem einfachen Titel Marilyn. Das Engagement reizte mich, denn das sehr komplexe Leben Marilyns wurde in zwei Hauptpersonen aufgeteilt: die zurückhaltende, in sich gekehrte Seite der Norma Jeane Mortenson, wie sie in Wirklichkeit hieß, und die Marilyn Monroe, wie man sie kennt. Die Auditions dazu verliefen glatt und überraschend schnell, und genau so schnell bekam ich Gewissheit, dass ich als Norma engagiert war. Meine Freunde waren über meinen Erfolg allerdings zweigeteilter Meinung.
„So sehr ich mich für dich freue:“, sagte Sarah, als wir endlich die Zeit fanden, uns einmal zu sehen, „glaubst du nicht, dass du damit dein Potential verschenkst?“
Ich rührte unbeirrt in meinem Kaffee. „Wieso?“, fragte ich. „Norma ist genau die Rolle, die auf meine Stimme passt.“
Sie schüttelte den Kopf. „Das meine ich nicht. Ich denke… Anouk, du hast eine wunderbare Stimme, eine sehr gefragte Stimme. Dein Typ ist gefragt! Du hast die Chance, bei allen möglichen großen Musicals mitzumischen. Meine Güte, du hast das Zeug zur nächsten Christine Daaé! Und jetzt spielst du in einem komplett neuen, ungewöhnlichen, kleinen Stück mit!“ Sie merkte, dass ihre Kritik mich verletzte (ich hatte wirklich auf mehr Unterstützung gepocht), und fügte etwas milder hinzu: „Ich will ja nur, dass du weißt, was du tust.“
„Ich weiß es ja“, entgegnete ich und versuchte, mich nicht aufzuregen. Ich wollte keinen Streit. „Aber sogar die Audition bei Grease war erfolglos!“ Ich hatte für Frenchy vorgesungen, aber in der letzten Runde wurde mir abgesagt. „Als Maria wollen sie mich auch nicht“, fuhr ich fort. „Wieder nicht. Stattdessen entscheiden sie sich für Marijke van der Loo.“
Sarah sah mich mitfühlend an. „Ich weiß, das ist gemein“, bestätigte sie die Bevorzugung von berühmten und beliebten Schauspielern. „Aber du darfst dich davon nicht entmutigen lassen!“ Sie zögerte kurz. „Vielleicht ist es sogar gut, dass du bei etwas kleinem mitmachst. Um andere Erfahrungen zu sammeln…“
Liam war enthusiastischer – er freute sich über alles, was ich machte. „Ich werde es mir ansehen“, sagte er, „versprochen!“
Dieses Versprechen konnte er allerdings nicht halten: es gab irgendwelche Verhandlungen über sein Engagement im Phantom der Oper, mit denen er sehr geheimnisvoll umging und die ihn viel Zeit kosteten, er war in ständigem Stress wegen eines Termins für eine Studioaufnahme, die ständig verschoben wurde und bekämpfte nebenbei eine androhende Erkältung. Ich versuchte, nicht zu enttäuscht zu sein, wenn er mal wieder anrief und sich kurzfristig entschuldigte. Diese ständige Trennung begann mich zu nerven; ich vermisste Liam und seine liebevolle Zuneigung.
Die Premiere von Marilyn war vollkommen ausverkauft, was bei dem kleinen Theater nicht schwer war. Trotzdem, oder gerade wegen dieser heimeligen Atmosphäre, war es eine wundervolle, stimmungsvolle Premiere: das Musical war eine gefühlvolle Inszenierung, die irgendwo zwischen modern und klassisch lag. Es gab leichte Tanzszenen, starke Balladen und flotte uptempo-Nummern. Und es hätte mich nicht gewundert, wenn das ende dem ein oder anderen Besucher die Tränen in die Augen trieb. Als ich den Schlussapplaus entgegennahm, wollte ich mir trotz aller Freude nur noch die grässliche braune Perücke vom Kopf reißen, denn ich hatte einige unerwartete, bekannte Gesichter im Publikum gesehen.
Auf der Premierenfeier im Foyer kämpfte ich mich durch die Besucher, bis ich auf die kleine Gruppe stieß, die um einen der hübsch geschmückten Stehtische standen und sich locker unterhielten.
„Da ist sie“, sagte Michael, als er mich entdeckte, und ich stellte mich zu ihnen und begrüßte sie der Reihe nach: Michael, Isabelle und Aubrey hatten es geschafft, mich zu besuchen.
„Und, wie geht es euch?“, fragte ich. Aubrey seufzte.
„Frag nicht!“, sagte sie. „Mein Engagement bei Die Schöne und das Biest war ein einziger Horror. Der Regisseur wusste überhaupt nicht, wohin er wollte, alles war unorganisiert und mit der Bezahlung haperte es auch. Es ist ein Wunder, dass wir jeden Abend spielen konnten. Das Theater hatte auch Probleme mit uns. Frag nicht“, wehrte sie ab, „ich hatte irgendwann keinen Durchblick mehr, wie alle anderen.“
Isabelle zuckte die Schultern. „Ich spiele ab Sommer in Ghost mit, als Molly.“ Ich bemerkte, wie blass sie immer noch war und dass sie gar keine richtige Freude über ihr Engagement empfand. Aber ich wollte sie nicht fragen, nicht heute, auch wenn ich ahnte, dass irgendetwas dahinter steckte.
„Tja, ich bin irgendwie im Mamma Mia!-Ensemble hängen geblieben“, grinste Michael. „Ich sage euch, es ist eine einmalige Stimmung dort, jeden Abend tolle Vorstellungen und ein tolles Ensemble!“
Ich freute mich für ihn, obwohl ich leise sorgen hatte, dass er sein Potential nicht ausnutzte (aber mit diesem Gedanken tat ich ihm ja das gleiche an wie Sarah mir). „Und was machen die anderen so?“, erkundigte ich mich dann.
„Tja, sie haben alle ihre Höhen und Tiefen“, antwortete Aubrey. „Mark jagt irgendeinem Engagement in Wien hinterher.“ Sie zögerte kurz, aber dann fuhr sie fort: „Er hat sich mit seinen Finanzen ein wenig… verspekuliert. Er braucht dringend einen guten Job.“
„Und du glaubst nicht, was Anita macht!“, warf Michael ein, ehe ich mich zu Marks Situation äußern konnte. „Sie ist zurück nach Russland gereist! Offenbar haben ihre Eltern beschlossen, sich wieder mit ihr zu vertragen, und jetzt sucht sie dort nach einem Engagement. Seitdem habe ich aber nichts mehr von ihr gehört.“
„Seit über sechs Monaten“, ergänzte Isabelle lakonisch.
Wir verfielen in eine weitschweifende Unterhaltung über unsere Mitschüler, spekulierten über deren Zukunft, redeten über eventuelle Engagements und schwelgten in Erinnerungen. In guten wie in schlechten.

Es war tiefe Nacht, als ich nach Hause kam. Meine Mutter, die sich die Premiere ebenfalls angesehen hatte, hatte sich schon früher verabschiedet. Es brannte kein Licht mehr in ihrer Wohnung. Ich ging leise das Treppenhaus hinauf zu meinem kleinen Apartment, zumindest versuchte ich es. Denn ich hatte Isabelle im Schlepptau und sie war mehr als angetrunken. Ich hatte ihr angeboten, bei mir zu übernachten, nicht nur, weil sie kaum mehr geradeaus gehen konnte, sondern auch um herauszufinden, was ihr fehlte. Denn sie war den Abend über sehr still gewesen, schön und still, wie ein Beistelltisch, auf dem ein Glas Sekt nach dem anderen abgestellt wurde.
„Du solltest vielleicht akzeptieren, dass du nicht viel Alkohol verträgst“, sagte ich, als sie sich auf mein Sofa fallen ließ.
„Ich weiß“, seufzte sie schleppend. „Ich habe schon ewig nicht mehr getrunken…“ Sie starrte gegen die Decke, ein leises Lächeln im Gesicht. Ich verkniff mir ein Lachen und verschwand im Bad, und als ich wiederkam, schlief sie schon. Ich beobachtete sie eine Weile: sie lag still, mit ernstem Gesicht und sogar im Schlaf zusammengezogenen Augenbrauen.
Etwas stimmt nicht, dachte ich. Und ich werde herausfinden, was es ist!
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 13.08.2014, 17:53:15

Und schon wieder vergeht die ganze Zeit wie ein Flug. Ein neues kleines Engagement, so so. Interessant, was sie noch alles so macht.
Ich find es gut, dass sie ihre Schulkameraden wiedertrifft und ich hoffe, sie kann Isabelle helfen!
Ich bin gespannt,wie es weitergeht :)
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon little miss sunshine » 13.08.2014, 20:35:33

Ich finde es gut,dass man (zumindest teilweise) erfährt,was Anouks ehemalige Mitschüler so machen. Und auch,dass sie mal was kleineres macht,halte ich für richtig,denn auch solche Erfahrungen sollte man gemacht haben - und außerdem spielt sie in Dortmund^^.

Jetzt hast du es spannend gemacht! Ich will wissen,was mit Isabelle ist. Das wird doch wohl nicht immernoch wegen Jamie sein?! :?
Ansonsten wäre es schön,wenn Liam und Anouk sich mal wieder sehen würden...aber ich lasse mich überraschen,was dir so Schönes einfällt ;)
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 14.08.2014, 14:40:57

Schön, dass es noch spannend ist :)

Ich wachte um halb eins am Mittag auf, mit knurrendem Magen und schwerem Kopf – und das, obwohl ich nicht ansatzweise so viel getrunken hatte wie Isabelle. – Isabelle! Ich zwang meinen Kreislauf in Fahrt zu kommen, indem ich die Füße aus dem Bett schwang und aufstand. Für einen Moment schien sich die Schwerkraft zu verdoppeln, alle Erdmagnete lagerten plötzlich unter meinem Bett. Dann aber streckte ich mich und fühlte mich wach genug, ins Nebenzimmer – mein Wohnzimmer – zu gehen. Zu meiner Überraschung war die Couch leer. Aber es roch angenehm nach Kaffee, und als ich meine minimalistische Küche ging, fand ich einen fertig gedeckten Tisch inklusive Isabelle vor. Einer sehr verschlafenen Isabelle mit ausdruckslosem Gesicht und keinem einzigen Krümel auf dem Teller. Ich setzte mich und bemerkte, dass bis auf ihre Kaffeetasse tatsächlich noch nichts angerührt war.
„Ich hoffe, du konntest auf dem Sofa einigermaßen schlafen“, sagte ich, während ich mir ein Müsli machte. „Ich wollte es noch etwas bequemer machen, aber du warst sofort weg.“
„Nicht so schlimm“, erwiderte sie. „Ich schlafe sowieso nicht so gut in letzter Zeit.“
Ich legte meinen Löffel weg und sah sie an. „Was ist mit dir los?“, fragte ich.
„Nichts“, log sie mir mitten ins Gesicht. Wir starrten uns an, ich zwang meinen Blick unnachgiebig gegen ihren, und es dauerte nicht mal zehn Sekunden, bis sie einknickte. Sie begann zu weinen und bekam eine ganz rote Nase und verquollene Augen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. War es immer noch wegen Jamie? Unmöglich! Sie hatte ihn geliebt, aber soweit ich wusste, hatte sie inzwischen einen neuen Freund. Und Jamies Tod lag inzwischen zwei Jahre zurück. Nein, beschloss ich, als ich darüber nachdachte, es musste etwas anderes sein. Isabelle war immer so entschlossen und zielgerichtet gewesen, dass ich sie jetzt in ihrer Apathie gar nicht wiedererkannte. Ich griff nach ihrer Hand, die eiskalt war.
„Isabelle, was ist denn?“, fragte ich erneut, und plötzlich kam mir ein schrecklicher Gedanke. „Bist du krank?“, fragte ich panisch. „Hast du irgendeine schlimme Krankheit?“ Bitte nicht noch mal!, dachte ich. Sie blickte auf und hörte abrupt auf zu weinen.
„Krank?“, wiederholte sie, als sei sie darauf noch nie gekommen. Dann lachte sie kurz auf. „Nein, krank bin ich nicht.“ Sie nahm ein Taschentuch und wischte sich über das nasse Gesicht. Aber sie begann schon wieder zu weinen. „Ich bin nicht krank“, wiederholte sie. „Ich bin schwanger.“

An diesem Tag ging ich früher ins Theater als gewöhnlich. Ich setzte mich in die erste Sitzreihe und dachte über unser Gespräch am Morgen nach – über Isabelles Dilemma. Ich wollte mit jemandem darüber reden, aus irgend einem Grund eine zweite Meinung haben, aber immer, wenn ich mein Handy in die Hand nahm, wusste ich nicht, wen ich anrufen sollte. Ich wollte nicht mal Liam damit belasten.
Isabelle hatte mir alles erzählt – die Schwangerschaft war nur der Höhepunkt einer Kette unglücklicher Vorfälle und Begebenheiten: offenbar fühlte sie sich als neu ausgebildete Musicaldarstellerin den Ansprüchen auf dem Markt nicht gewachsen. Ihre Rolle in Ghost war die erste große Rolle. Bisher hatte sie an allen Ecken sparen müssen und war gleichzeitig dem immer währenden Druck ihrer Eltern ausgesetzt. Ich wusste, dass ihre Mutter eine berühmte Ballerina war, die ihr Kind auf den großen Bühnen sehen wollte, koste es was es wolle. Offenbar war sie mehr als enttäuscht von den Anlaufschwierigkeiten ihrer einzigen Tochter, und auch, wenn Isabelle ihre Eltern mied, waren deren hohe Ansprüche doch allgegenwärtig.
„Immer, wenn ich mir sage: du bist erwachsen, geh deine eigenen Wege!, dann fühle ich mich erleichtert. Aber dann sehe ich meine Mutter vor mir, wie stolz sie ist, wenn ich die beste bin, und wie enttäuscht und giftig, wenn nicht. Wenn ich nur die zweite bin. Ich kann es einfach nicht verdrängen. Wenn sie wüsste, dass ich schwanger bin…“
Ich hatte versucht, sie zu beruhigen. „Du bist erst zweiundzwanzig. Wenn du das Kind hast und wieder fit bist, kannst du einen neuen Anlauf wagen.“
„Das ist deine Vorstellung von Kindern?“, hatte sie entgegnet. „Sie sind hilflos, sie schreien. Sie müssen die Windel gewechselt bekommen, sie brauchen Aufmerksamkeit. Roman (ihr Freund) muss arbeiten, ich bin ständig woanders. Soll ich das Kind etwa überall mit hin schleppen? Und was wird aus meinem Engagement, wenn sie merken, dass ich schwanger bin?“
Isabelle wusste seit einer Woche mit Sicherheit, dass sie schwanger war. Ich versuchte sie zu beruhigen, versuchte ihr auszureden, das Kind abzutreiben. Jetzt aber wurde mir klar, dass das ein Fehler war. Isabelle machte nicht den Eindruck, als sei sie einem Baby gewachsen. Es war nicht wie im Film: die ungewollt Schwangere empfindet plötzlich Liebe. Isabelle wollte kein Kind, sie hatte nie eines gewollt. Sie wollte auf der Bühne stehen, Ansprüche erfüllen und sich selbst beweisen, nicht gehetzt zum Kindergarten rennen und zwischen Erziehung und Theater pendeln.
Ich fragte mich, was ich wollte. Bisher hatte ich noch nie darüber nachgedacht, aber Isabelles Situation eröffnete mir plötzlich eine ungeahnt große Bandbreite von Möglichkeiten. Hatte ich je Kinder haben wollen, eine eigene Familie? Die Antwort überraschte mich. Ja. Irgendwann wollte ich tatsächlich Kinder haben, eines vielleicht oder zwei. Aber jetzt wollte ich auf der Bühne stehen. Ich wollte ausprobieren, was es auszuprobieren gab, ich wollte so weit frei sein, wie es ging, mich ganz meinem Hobby hingeben. Die anstehenden Proben für Tanz der Vampire genießen.
Als ich mir vorstellte, was es für mich bedeuten würde, dieses Engagement absagen zu müssen, hatte ich plötzlich Verständnis für Isabelle. Ich stand auf und durchquerte den Saal, ging über die Bühne und suchte meine Garderobe auf. Ich würde Isabelle nichts ausreden. Aber ich würde versuchen, ihr zu helfen.
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 14.08.2014, 16:47:40

Hui, eine dramatische Entwicklung. Das ist sicherlich keine einfache Situation für Isabelle. Der Alkohol vom Vorabend hat ihrer Situation auch ganz und gar nicht gut getan. Ich bin wirklich gespannt, wie es mit ihr weitergeht. Aber gut, dass sie so eine tolle Freundin wie Anouk hat! Auch wenn dieser Teil die Geschichte nicht weitergebracht hat, so gefällt er mir sehr gut. Bald weiter bitte :)
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