

Genre: Drama
Disclaimer: Musicalzitate die evtl vorkommen gehören den jeweiligen Autoren. Die Idee zu dieser Geschichte ist von mir.
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Teil 1
Mit einem Lächeln auf den Lippen trat ich aus der Tür und atmete die klare, frische Spätsommerluft ein. Der tosende Applaus, den ich auch heute Abend für meine Darstellung im Musical Elisabeth geerntet hatte, klang mir immer noch in den Ohren. Mir selbst hatte die heutige Vorstellung nicht besonders gefallen – ich war unruhig gewesen, unkonzentriert; mehr als einmal hatte meine Stimme zu schrill geklungen. Doch die Fans schien das nicht zu stören; es warteten genauso viele auf mich, wie an besseren Tagen auch schon.
„Du bist die allerbeste!“, versicherten sie mir strahlend und baten mich um Fotos und Autogramme. „Witzig, dass du auch in echt Elisabeth heißt, genau wie im Stück!“, fand ein etwa 15-jähriges Mädchen, dem ich gerade ein Autogramm auf ihr Programmheft schrieb. Ich lächelte. „Ja, das finde ich auch. Wobei mir im wirklichen Leben mein Spitzname Lia viel besser gefällt. Elisabeth wurde ich früher nur genannt, wenn meine Eltern böse auf mich waren. Als hier alle „Elisabeth“ sangen, dachte ich am Anfang immer, ich krieg gleich Ärger.“ Ich grinste. „Aber ich schätze, inzwischen hab ich mich dran gewöhnt.“
Ich gab noch einige Autogramme und posierte mit Fans für vier weitere Fotos, bevor sich die Gruppe zerstreute und ich meinen Heimweg antreten konnte. Nur mein Kollege Jan, der Abend für Abend an meiner Seite den Tod spielte, war noch da. Da wir nur wenige Hausnummern voneinander entfernt in der gleichen Straße eine Wohnung gefunden hatten, fuhren wir oft gemeinsam zum Theater und wechselten uns beim Fahren ab.
Auch heute wartete er auf mich und hielt scherzhaft die Beifahrertür seines kleinen Ford für mich auf. „Dein Bühnenkuss war heute aber wenig leidenschaftlich“, beschwerte er sich mit einem Zwinkern. „Stimmt was nicht?“
Ich zuckte die Achseln. Zwar rührte mich, dass ihm meine Zerstreutheit aufgefallen war, aber trotzdem… „Ich weiß auch nicht so richtig. Eigentlich ist nichts Bestimmtes. Ich bin jetzt nur schon so lange die Elisabeth…“ Ich ließ den Satz unvollendet und er hob die Augenbrauen, während er das Auto aus der schmalen Parklücke manövrierte. „Wird es dir langweilig?“
„Nein, Langeweile ist das falsche Wort.“ Ich seufzte. „Das ganze Team ist wirklich super, und das Publikum hier auch. Man könnte sich keine besseren Fans wünschen. Aber trotzdem fehlt einfach irgendwas.“ „Ich weiß, was du meinst.“ Jan bog in die Hauptstraße ein und lächelte mich an. „Vielleicht wird es an der Zeit, dir was Neues zu suchen. Du bist noch so jung, Elisabeth ist dein erstes großes Projekt. Vielleicht solltest du einfach auch noch ein paar andere Sachen ausprobieren. Die Welt kennenlernen.“ Er lächelte wieder.
Ich konnte nicht anders, als mitzulächeln. Einmal mehr bewunderte ich die lässige, immer positive Art meines Kollegen. Wie ein Fels in der Brandung, dachte ich – ich glaube, es gibt’s nichts, was ihn aus dem Konzept bringt. Wenig später fiel mir auf, dass er noch auf eine Antwort wartete. „Naja…“ Ich brach ab. Wie sollte ich ihm das erklären? „An so was habe ich auch schon mal gedacht. Zur nächsten Spielzeit könnte ja Diana die First Cast übernehmen; sie ist die beste Zweitbesetzung, die ich in der Rolle je hatte. Und mich würden einige andere Rollen schon auch reizen…“ Ich seufzte wieder. „Aber andererseits würde ich euch alle furchtbar vermissen!“
Nun war es Jan, der seufzte. „Das ist nachvollziehbar. Aber Lia, solche Entscheidungen müssen wir alle früher oder später treffen. Als Darsteller muss man eben oft in andere Städte; teilweise sogar in andere Länder. Und da sieht man sich eben manchmal auch lange Zeit nicht. Aber das heißt doch nicht, dass wir nicht mehr befreundet wären!“ Er grinste plötzlich. „Nicht, dass ich dich loswerden will oder so. Aber vielleicht ist eine neue Stadt und eine neue Rolle genau das, was du jetzt brauchst.“
Er bremste ab und ordnete sich im zähfließenden Verkehr in Richtung unserer Wohngegend ein. Ich schwieg und dachte über seine Sichtweise nach, und einige Minuten herrschte, bis auf die leise Mainstream-Musik im Radio, Schweigen.
Erst als er in unsere Straße abbog, hatte ich mir endlich eine Antwort überlegt. „Vielleicht hast du Recht. Bis zum Ende der Spielzeit sind es noch mehr als drei Monate; die Zeit werde ich sowieso brauchen, wenn ich mich nach Castings umhören will. Und Songs vorbereiten muss ich ja auch noch für’s Vorsingen. Ich denke, ich sehe mich mal um, was es in der großen, weiten Welt sonst noch so gibt.“ Ich sah ihn ernst an, als er vor meinem Wohnblock hielt. „Aber bitte behalt das noch für dich, Jan. Es ist ja noch nichts sicher und ich will auf keinen Fall schon vorher Panik verbreiten.“
Er lächelte mich ermutigend an. „Kein Thema, von mir erfährt niemand was. Bis morgen, ja?“ „Alles klar, ich hol dich um drei ab. Bis dann.“ Ich schloss die Autotür und blickte kurz seinen Rücklichtern nach, bevor ich mich umwandte und auf die Haustür zuging.