Mich trägt mein Traum

Eure musicalischen Stories oder Fanfictions könnt ihr hier posten.

Moderatoren: Sisi Silberträne, Elphaba

Benutzeravatar
Gaefa
Musical-Fan
Musical-Fan
Beiträge: 2203
Registriert: 20.03.2007, 18:32:59
Wohnort: Göttingen

Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 24.10.2014, 15:36:33

Ein schöner und ziemlich langer Teil! Schade, dass es eine solche Talfahrt in der Beziehung zwischen ihr und Liam gibt... Das erinnert mich unweigerlich an Nora und Leon^^ Schön, dass Anouk in Lukas einen Gesprächspartner für ihre Probleme gefunden hat. Irgendwie habe ich es geahnt, dass dieser neue Graf ihr den Atem rauben wird. Ich schätze, dass er ihr noch weiterhin den Kopf verdrehen wird. Muss sie sich wohlmöglich zwischen Graf und Phantom entscheiden? Oder kommt doch alles ganz anders und Alexej ist bereits in festen Händen? Es bleit spannend und ich freue mich sehr auf die nächste Fortsetzung.
~*Niemand nimmt mir meine Träume und schließt meine Sehnsucht ein, wo es Liebe gab und Freiheit wird mein Herz für immer sein*~

Benutzeravatar
Ophelia
Musical-Fan
Musical-Fan
Beiträge: 1434
Registriert: 10.04.2013, 16:02:28

Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 25.10.2014, 19:45:04

Schön, dass es dir noch gefällt :) Dieser Teil fällt dafür etwas kürzer aus:

Noch eine Woche bis zur Premiere. Und meine Nerven lagen bereits jetzt schon blank. Ich hatte eingewilligt, von nun an jeden Tag schon um zwölf im Theater zu sein, um mit Alexej und alle drei Tage auch mit einer Phonetiklehrerin zu proben.
„Er hat seinen Text schon lange gelernt“, hatte Emmanuel mir erklärt, „und schon einmal in Deutschland gespielt. Trotzdem will ich, dass ihr aufeinander eingespielt seit und er deutlich zu verstehen ist.“
Auf dem Weg zum Theater ertappte ich mich mehrmals dabei, wie ich nervös mit den Absätzen klapperte, und einmal dachte ich ernsthaft darüber nach, Liam anzurufen. Dann aber erinnerte ich mich daran, dass es endlich an ihm war, sich um unsere Beziehung zu kümmern, und mein Stolz war stärker als meine Angst.
Als ich zögerlich den Theatersaal betrat, drangen bereits Stimmen zu mir, besser gesagt, Laute: Alexej und Annika, die ihm bei der Aussprache unterstützen sollte, übten bereits vor der Bühne.
Gott ist tot, nach ihm wird nicht mehr gesucht“, sang Alexej gerade, und dabei bewegte er den Mund so überdeutlich, dass ich ein Stoßgebet gen Himmel sandte, er möge sich das bis zur Premiere abgewöhnen. Ich legte meine Tasche ab und beschloss, mir für diese Proben nicht extra irgendwelche Trainingssachen anzuziehen; ich ließ lediglich meine Schuhe zurück und betrat auf Socken die Bühne. Für unsere Probe stand das Gasthaus mit Blick auf das Badezimmer bereit; ich breitete das Handtuch über dem Badewannenrand aus und legte es wieder ordentlich zusammen, um die beiden nicht bei ihren Übungen zu stören und gleichzeitig irgendetwas zu tun zu haben.
„So, das war’s als erstes“, sagte Annika endlich und sah mich an. „Bist du so weit?“
„Kann ich mich noch ein bisschen einsingen?“, fragte ich. Sie nickte.
„Sicher. – Ich mache eine kurze Pause, beachtet mich einfach gar nicht.“ Sie zog sich mit einer Thermosflasche in den Zuschauerraum zurück, und ich grüßte Alexej nur kurz, ehe ich mich in den Orchestergraben zurückzog und mich dort, wie so oft, am Klavier einsang. Während ich unwillkürlich irgendwelche Tonreihen durchging, entspannte ich langsam. Mein Herzrasen war meiner Aufregung zuzuschreiben, und meine Niedergeschlagenheit und Angst eindeutig meinem Problem mit Liam. Ich vermisste ihn und musste ihn dringend sehen. Nur deswegen war ich unkonzentriert und unsicher.
Nach fünfzehn Minuten brach ich meine Übungen abrupt ab und betrat wieder die Bühne, denn meine Entschlossenheit hatte ihren Höhepunkt erreicht.
„Ich bin so weit“, sagte ich zu Alexej, der auf Sarahs Bett saß und seine deutschen Texte durchging. Während ich mit ihm sprach, zwang ich mich, ihm unbefangen in die Augen zu sehen. „Womit fangen wir an?“
„Ich weiß nicht, was du üben willst“, erwiderte er und stand auf. „Ich habe schon mit Gott ist tot begonnen, also können wir jetzt Einladung zum Ball machen. Außer, du willst alleine Nie geseh’n proben.“
Ich dachte kurz darüber nach, aber eigentlich wäre das sinnlos; erstens kannte ich meine Aufgaben dabei und zweitens war Lukas ja nicht da.
Einladung zum Ball“, entschied ich. Erst, als ich in der Wanne saß und Alexejs Stimme erklang, verfluchte ich meinen Entschluss. Bisher hatte ich mir nie große Gedanken über die Szene gemacht; sicher, ich steckte in einem durchsichtigen Body, und ja, das Publikum sah meinen Hintern. Warum sich also wegen des Grafen über mir schämen? Jetzt aber wurde mir bei der Vorstellung, so Alexej gegenüber zu sitzen, heiß und kalt. Ich hoffte, dass er mein erschrockenes Starren während der Szene als gute schauspielerische Leistung empfand – denn während ein Teil von mir sich immer noch mit dieser Nacktheit-Sache beschäftigte, bewunderte der Rest seine Stimme und seine tiefgründige, vielfältige Mimik, seine verführerischen Blicke und seine theatralischen, gräflichen Gesten. – Anouk!
Manchmal hatte ich während dieser Szene zu Felix hochgezwinkert oder kleine Grimassen geschnitten, um ihn aus dem Konzept zu bringen, so wie Sofia es auch oft machte. Bei Alexej war ich plötzlich mehr wie ein Zuschauer als wie eine Schauspielerin – völlig fasziniert von der Intensität seines Blickes. Als er geendet hatte, blieb ich einfach in meiner Wanne sitzen und starrte gegen die Wand mir gegenüber, ehe er zwischen dem Bühnenbild wieder auftauchte. Ich sah zu ihm hoch.
„Das war gut!“, sagte ich, nachdem ich unauffällig tief Luft geholt hatte. „Wie lange lernst du schon Deutsch?“ Ich ergriff seine Hand, die er mir hinhielt, um mir aufzuhelfen, und hüpfte zurück auf die Bühne.
„Seit etwa vier Jahren“, antwortete er. „Vor drei Jahren hatte ich ein kurzes Engagement hier in Deutschland, im Ensemble von Elisabeth. Dafür habe ich viel gelernt. Ihr habt eine schöne Sprache“, fügte er hinzu, und ich runzelte die Stirn.
„Tatsächlich? Ich finde Deutsch eher sehr… gewöhnlich.“
„Wahrscheinlich denkt das jeder von seiner Muttersprache“, erwiderte er. „Ich finde Russisch auch langweilig.“
„Aber dein Akzent steht dem Grafen super!“, rutschte es mir heraus, und ich konnte nicht verhindern, dass ich rot wurde. Er bedachte mich mit einem Blick, den ich nicht deuten konnte, der aber auch nicht unangenehm war.
„Wie wäre es, wenn wir weiter machen?“, schlug ich vor, um meine Unsicherheit zu überbrücken. „Das Gebet und dann Vor dem Schloss? Meinetwegen spiele ich auch Professor und Alfred zusammen.“

„Und, was konntest du über unseren Hausherren in spe herausfinden?“, fragte Lukas mich, als wir uns langsam im Backstage-Bereich einfanden. „Ihr habt doch gemeinsam geprobt?“
Ich nestelte an meinem Ärmel herum. „Äh – ja, haben wir. Er ist… nett, glaube ich.“
„Du hast fünf Stunden lang mit ihm geprobt und alles, was du über ihn sagen kannst, ist dass er nett ist?“, fragte er ungläubig. „Komm schon, Anouk. Du sollst nicht lästern, sondern uns auf ihn einstimmen.“
Ich begegnete Daniels Blick und wich ihm hastig wieder aus.
„Er spricht sehr gut Deutsch“, antwortete ich also wahrheitsgemäß, „und die Rolle ist ihm sowieso vertraut, er spielt sie ja auch in Russland seit über einem Jahr. Ich glaube, wir werden alle gut mit ihm klarkommen.“
„Na, Gott sei Dank!“, entgegnete Lukas. „Ich freue mich schon!“ Er drehte sich zu irgendetwas um, das seine Aufmerksamkeit erregte, und für einen Augenblick waren Daniel und ich alleine. Ich bemühte mich, ihn nicht anzusehen.
„Irgendetwas stimmt nicht mit dir“, murmelte er mir zu und zupfte an seinen Locken. „Ich finde noch heraus, was es ist.“
Ich wollte erwidern, er solle sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern, aber Lukas kam zusammen mit Sofia zurück und ich wollte ihre Aufmerksamkeit nicht auf mich lenken.
Was ich rette, geht zu Grund
Was ich segne muss verderben
Nur mein Gift macht dich gesund
um zu leben musst du sterben

Benutzeravatar
Gaefa
Musical-Fan
Musical-Fan
Beiträge: 2203
Registriert: 20.03.2007, 18:32:59
Wohnort: Göttingen

Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 26.10.2014, 10:58:53

Ein schöner neuer Teil. Ich bin sehr gespannt wie das mit Anouk und Alexej weitergeht. Und wenn Liam such bald nicht mal meldet, HST er wohl bald nichts mehr zu melden... Bitte schnell weiter!
~*Niemand nimmt mir meine Träume und schließt meine Sehnsucht ein, wo es Liebe gab und Freiheit wird mein Herz für immer sein*~

Benutzeravatar
Ophelia
Musical-Fan
Musical-Fan
Beiträge: 1434
Registriert: 10.04.2013, 16:02:28

Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 27.10.2014, 20:01:40

Hier der nächste Teil :)

„Hör mal, Anouk“, fing Emmanuel mich nach einer Probe ab. „Am Samstag wird eine Fotografin kommen. Wir haben uns entschieden, ein aktuelles Programmheft herauszubringen.“
„Echt? Das… ist ja klasse!“, sagte ich begeistert. Ich konnte mein Glück kaum fassen – sie wollten mich nicht nur als Sarah, sondern auch auf unzähligen Fotos im Programmheft?
„Wenn du mir jetzt noch sagst, dass wir eine CD aufnehmen, werde ich dich küssen!“, lachte ich.
„Vielleicht lieber mich, ich bin doch der Graf“, meldete sich Alexej zu Wort, der unbemerkt hinter mir aufgetaucht war. Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, und verfluchte mich mal wieder für meine vorlaute Zunge.
„Vielleicht sollte ich mir das auch lieber für Liam aufheben“, lenkte ich ein.
„Es wird jedenfalls keine Aufnahme geben“, beendete Emmanuel dieses verwirrende Gespräch. „Es gibt immerhin schon zwei deutschsprachige CDs.“
„Na ja, man kann nicht alles haben.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Also, wann soll ich am Samstag hier sein?“
„Die Fotografin wird um dreizehn Uhr ankommen, am besten ihr seit um spätestens elf hier, damit wir euch ein bisschen zurechtmachen können.“
Ich nickte und verabschiedete mich. Und freute mich auf Samstag.
Aber offensichtlich verkehrte sich in letzter Zeit alles, was ich als positiv empfand, ins Gegenteil. Während der Proben versuchte ich, Alexej auf Distanz zu halten, ohne ihn auszugrenzen, was eine ziemliche Herausforderung war. Eigentlich wusste ich selbst nicht genau, warum, aber ich hatte das Gefühl, dass er gefährlich werden könnte. Ich hatte Angst ihm nahe zu kommen, weil ich mich seltsam unsicher fühlte. Dabei konnte man ganz ungezwungen mit ihm sprechen; er war sogar ganz witzig, und wir profitierten alle von seiner Muttersprache und lernten ein paar Lieder ansatzweise auf Russisch kennen.
Trotz meiner verwirrten Gefühle freute ich mich auf die Fotos, und in der Maske fühlte ich mich mal wieder entspannt und glücklich. Laut einer Liste auf dem Schwarzen Brett würden wir szenenweise fotografiert werden, und es dauerte seine Zeit, ehe ich das erste Mal auf der Bühne, besser gesagt auf dem Bett saß. Wir spielten einmal die Szene durch, ehe die Fotografin diverse Stellen wiederholt sehen wollte. So zogen sich die meisten Lieder endlos hin.
„Okay, Alexej, könnten Sie sich noch einmal vorbeugen?“, rief die Fotografin, als wir bei Einladung zum Ball angelangt waren. „Ja, genau so! Und singen… singen…“
Über mir stand Alexej, sang seinen letzten Ton, und weil er mich die ganze Zeit anstarrte fragte ich mich, ob wir nicht für meine Rückansichten ein Double einsetzen könnten.
„Du weichst mir aus“, raunte er mir zu, bevor er einatmete und weitersang.
„Was?“, fragte ich, aber er hob nur vielsagend eine Braue.
„Bitte behalten Sie die Kontrolle über Ihre Mimik!“
„Ich weiche dir gar nicht aus!“
„Doch. Schon die ganze Woche über.“
„Bitte nicht reden, wir sind gleich fertig damit.“
„Ich…“ Ich sah böse zu ihm hoch. Musste er mich in dieser hilflosen Situation stellen? Das war gemein!
„Sehr gut, nur noch zwei Schüsse… einer…“
Alexej strich mir mit der Hand sacht übers Gesicht.
„Sehr gut, danke!“
Er richtete sich ruckartig wieder auf und sprang behände von der Badewanne. Finster wickelte ich mir das Handtuch um und stieg hinterher.
Erst bei Tot zu sein ist komisch stellte ich mich demonstrativ neben ihn.
„Bist du jetzt zufrieden?“, fragte ich leise und verschränkte die Arme vor der Brust. Er lachte leise, sagte aber sonst nichts.
„Weißt du eigentlich, wie dumm sich das anhört?“, fuhr ich also fort. „Du behauptest einfach während des Shootings, ich würde dich meiden! Wie soll ich mich da konzentrieren?“
„Du warst ja gar nicht zu sehen!“
„Ach… egal!“ Ich wischte ärgerlich mit der Hand durch die Luft. „Mich von dir fernhalten. Pfft. Warum auch? Ich… Nein, ich halte mich nicht von dir fern, ich weiche dir nicht mal aus.“
„Ist ja gut“, wehrte er belustigt ab. „Es ist nur seltsam, dass du dich so krampfhaft rechtfertigst. – Wer ist übrigens Liam?“
Damit nahm er mir den Wind aus den Segeln – ob beabsichtigt oder nicht, konnte ich nicht sagen. „Liam?“, wiederholte ich deswegen verdattert.
„Ja. Der Mann, den du statt Emmanuel küssen wolltest.“
„Ich weiß schon, wen du meinst! – Er ist mein Freund“, erwiderte ich kühl.
„Aha“, antwortete er. Ich beobachtete grimmig das Geschehen auf der Bühne, und als ich mich zu ihm umdrehte, war Alexej in ein Gespräch mit Emmanuel vertieft. Seine Fragerei verwirrte mich. Was sollte das bezwecken? Wollte er die Lage abchecken, hatte er womöglich versucht, mit mir zu flirten? Und warum verunsicherte er mich absichtlich? Ich verstand gar nichts mehr! Und er hatte ja recht – ich hatte mich tatsächlich gerechtfertigt.
Erst, als wir Totale Finsternis probten, konnte ich ihm Kontra geben.
„Weißt du, es gibt Leute, die wollen ihre Arbeit machen!“, sagte ich bissig, „und zwar so, wie sie ihm Drehbuch steht“, und damit wischte ich sine Finger unwirsch von meinem Gesicht.
„Keine Berührungsängste, Anouk!“, rief Emmanuel von außen. „Das Drehbuch ist nicht das Gesetz!“
Ich hätte heulen können!
Alexej konnte sich nur schwer ein Lachen verkneifen.
„Kann es sein, dass du dich nicht nur gerne rechtfertigst, sondern auch gegen dich selbst wehrst?“
Ich beschloss, einfach stumm zu bleiben. Denn sonst hätte ich womöglich so etwas gesagt, wie: „Na klar muss ich mich gegen meine Gefühle wehren, denn ich habe schon einen Freund, auch wenn der sich grade nicht um mich kümmert, und ich will nicht Gefahr laufen, ihn zu betrügen.“ (Mir brannte wirklich einiges auf der Seele!)
„Ich jedenfalls werde mich nicht rechtfertigen“, flüsterte er, als er zum Biss ansetzte und dann doch zurückwich. „Und mich wehren schon gar nicht.“

Hohes Gericht: ich saß mit Sarah in meiner Garderobe, der kleine Beistelltisch war vollgestellt mit Tee und Kuchen. Sie sah mich gespannt an.
„Also, um das Ganze noch mal knapp zusammenzufassen“, antwortete sie auf meine vorausgegangene Rede, „du findest ihn anziehend?“
„Hm… Möglicherweise?“
Sie hob eine Braue, und ich sank in mir zusammen.
„Ja, es stimmt“, antwortete ich und vergrub den Kopf in den Händen. „Aber was ist mit Liam?“
„Na ja, ich finde auch eine Menge Männer anziehend, obwohl ich in festen Händen bin. Du solltest mal unseren Romeo sehen, o la la.“ Sie räusperte sich. „Damit will ich sagen: so etwas muss keine Gefahr für eine Beziehung sein.“ Sie schwieg eine Weile. „Oder, Anouk?“, hakte sie unsicher nach. Ich schüttelte den Kopf ohne sie anzusehen.
„Ich weiß es nicht!“, nuschelte ich in meine Finger, „ich weiß es nicht!“
„Nun ja, er scheint ja schon etwas vergleichbares zu fühlen“, sinnierte sie mehr für sich selbst, „immerhin waren seine Andeutungen eindeutig. Nicht wehren, nicht rechtfertigen… Das ist irgendwie, tja, wie soll ich sagen?“ Sie nahm das Foto von mir und Alexej, das für die Presse gemacht wurde und uns während Totale Finsternis zeigte, und schürzte die Lippen.
„Nicht schlecht“, sagte sie, aber ich fragte nicht weiter nach, worauf sich diese Bewertung bezog. Stattdessen beendeten wir unsere gemütliche Runde, und ich gab ihr eine exklusive Backstage-Führung, die ja schon längst überfällig war.
„Also, hier oben zu stehen, ist wirklich cool!“, sagte Sarah, als wir gemeinsam auf der Treppe standen. „Und in welchem Bilderrahmen stehst du immer?“
„Da unten rechts“, antwortete ich und deutete auf das leere Bild.
„Wahnsinn.“ Sarah freute sich wie ein Kind an Weihnachten, den falschen Knoblauch, Perücken und Kostüme zu betrachten, befühlen und auszuprobieren.
„Die Badewanne sieht ja auch interessant aus!“, lachte sie, als sie einen Blick hineinwarf.
„Na ja, ich muss ja auch Platz drin haben, um mich verkriechen zu können!“, entgegnete ich.
„Warte!“ Sie kletterte hinein und setzte mich. „Stell dich mal über mich, ich will nur einmal wissen, wie sich das ungefähr anfühlt!“
Ich kam ihrem Wunsch nach und wir alberten ein bisschen herum, ehe wir Schritte hörten und uns rasch wieder auf die Bühne stellten. Es war Alexej.
„Oh, hallo Anouk“, grüßte er. „Ich suche meine Zähne.“
Sarah begann zu lachen. Alexej sah sie fragend an.
„Das ist Sarah“, stellte ich vor, „meine beste Freundin.“
„Ah, verstehe.“ Er lächelte leicht und gezwungen, und erst jetzt fiel mir auf, dass er ziemlich gereizt aussah.
„Äh – deine Zähne hab ich nirgendwo gesehen“, antwortete ich also, und sobald Alexej außer Sicht- und hoffentlich auch Hörweite war, seufzte Sarah auf.
„Jetzt verstehe ich, warum Tanz der Vampire erotisch sein soll!“
„Sarah!“, zischte ich, und sie sah mich mitleidig an.
„Also, du bist dir nicht sicher, ob er eine Gefahr für eure Beziehung sein könnte?“ Sie schürzte die Lippen. „Wenn ich ihn so sehe, würde ich sagen, du bewegst dich da auf sehr dünnem Eis!“
„Ich weiß!“, erwiderte ich leidend. Sie legte den Arm um meine Schulter.
„Abwarten. Ich habe jedenfalls schon Karten für die Premiere und bin sehr gespannt, was da so alles passieren wird!“
Was ich rette, geht zu Grund
Was ich segne muss verderben
Nur mein Gift macht dich gesund
um zu leben musst du sterben

Benutzeravatar
Gaefa
Musical-Fan
Musical-Fan
Beiträge: 2203
Registriert: 20.03.2007, 18:32:59
Wohnort: Göttingen

Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 27.10.2014, 23:00:45

Oha, das sind ja spannende Entwicklungen. Alexej scheint kein Blatt vor den Mund zu nehmen und scheint Anouk ja auch anziehend zu finden, wie du es so schön nennst ;) Hattest du irgendwo erwähnt, wie alt er ist? Ich mein, so nen Graf kann ja durchaus von einem Darsteller gespielt werden, der doppelt so als ist wie Anouk - muss aber nicht. Ich kann mich nur grad an kein Alter erinnern? Ich bin sehr gespannt, was passiert. Aber ehrlich gesagt, seh ich für Liam schon länger rot - der soll sich endlich mal melden, sonst ist er selber schuld... Bitte bald weiter!
~*Niemand nimmt mir meine Träume und schließt meine Sehnsucht ein, wo es Liebe gab und Freiheit wird mein Herz für immer sein*~

Benutzeravatar
Ophelia
Musical-Fan
Musical-Fan
Beiträge: 1434
Registriert: 10.04.2013, 16:02:28

Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 30.10.2014, 16:16:07

Sein Alter habe ich nirgendwo beschrieben, kommt glaube ich später noch, soll aber auch kein Geheimnis bleiben: ich hab ihn mal auf ungefähr 37 Jahre gesetzt ;) Jetzt kommt ein neuer und langer Teil, viel Spaß :)

Sofias und Felix’ Derniere war gleichzeitig der Beginn des Castwechsels. Alexej musste dafür in die volle Grafenmontur schlüpfen, nur um am Ende der Show einmal als neuer Krolock auf der Bühne zu erscheinen. Natürlich hatten wir uns für die Derniere einiges überlegt; unter anderem erschraken wir zur Abwechslung mal nicht nur das Publikum, sondern auch Felix beim Finale des ersten Aktes: zwei der Ahnen sprangen hinter den sich öffnenden Flügeltüren hervor, als er die Bühne verließ, und ich wie alle anderen lachten Tränen, als er total erschrocken und überrumpelt zurückwich. Bei Totale Finsternis stand ich bereits im Ballkleid hinter den Gemälden, und bei der Szene Sie irren, Professor hatte jemand ein kleines Tischchen auf die „Dachzinnen“ gestellt, genau neben der Stelle, an der der Graf auftauchte. Darauf standen ein Wasserglas, in dem ein Gebiss schwamm, eine Zahnbürste und ein großes Schild mit der Aufschrift: Auch in Zukunft: Zähneputzen nicht vergessen! - eine Anspielung auf seine etwas nachlässige Aufbewahrung des Grafengebisses. Felix musste lachen, als er es sah, und dadurch wurde die Szene nicht ganz so ernst wie üblich. Im Ballsaal schließlich schenkte Krolock Sarah eine Rose, und als der Vorhang fiel und der Schlussapplaus ertönte, wurden meine Knie ganz weich: ab nun war ich offiziell die erste Sarah! Es gab obligatorische Rosen, Alexej und ich lösten ein wenig förmlich das „alte“ Darstellerpaar ab, und nach der Show wurden natürlich noch ein paar Tränen verdrückt und Gläser Sekt getrunken.
„Und, schon aufgeregt?“, fragte Lukas mich und Alexej.
„Na, und wie!“, lachte ich. „Du weißt ja, wie lange ich schon die Tage zähle!“
„Sarah ist Anouks Traumrolle“, erklärte Lukas an Alexej gewandt. „Ich glaube, sie wird das morgen ordentlich feiern!“
„Ehrlich gesagt, habe ich darüber noch gar nicht nachgedacht“, gab ich zu.
„Montag ist spielfrei, richtig?“, entgegnete Alexej. „Wir könnten bestimmt etwas machen mit dem Ensemble.“
„Hm.“ Lukas dachte nach. „Wir können ja einfach spontan nachfragen, wer mit will“, schlug er dann vor. „Wie fühlst du dich als eingefleischter Graf?“
Alexej sah ihn fragend an. „Als was?“
„Er meint, ob du auch aufgeregt bist, obwohl du schon so lange den Grafen in Russland spielst“, übersetzte ich die Redewendung.
„Wirklich bin ich aufgeregt!“, antwortete er. „Es ist ja doch etwas anderes, in einem anderen Land und einer anderen Sprache zu singen. Besonders eure Jahreszahlen – 1617 nach der Maiandacht, richtig?“
Ich musste wieder lachen. „Richtig. Und wenn du dich vertust“, ich verstellte meine Stimme ein wenig und setzte einen russischen Akzent auf, „dann werde ich einfach von außen soufflieren.“
Wir verbrachten den Abend albernd und ausgelassen im Theaterfoyer, aber wir blieben nicht lange: denn morgen war schon wieder ein großer Tag.

Ich kam pünktlich und zum ersten Mal seit Wochen sehr gut aufgelegt am Theater an: denn am anderen Ende der Leitung meines Handys saß Liam und hatte mich endlich angerufen, um mir Glück zu wünschen.
„Die Vorstellung ist ausverkauft!“, berichtete ich ihm begeistert, vor Erleichterung und Aufregung allen Zorn vergessend. Vor der Bühnentür knubbelten sich schon ein paar Fans und lugten zu Lukas und Mareike, die vor dem Gebäude standen – Lukas noch in bequemen Klamotten, Mareike bereits mit roter Perücke. Ein paar Tänzer machten Dehnübungen und flotte Tanzschritte. Ich begrüßte das Grüppchen mit einem Kopfnicken.
„Ausverkauft ist doch fast jede Vorstellung!“, wandte Liam ein.
„Meistens sind noch ein paar Plätze frei!“, erwiderte ich. „Aber heute ist der Saal voll!“ Ich nagte an meiner Unterlippe. „Wenn mir nur kein Missgeschick passiert!“
„Du bist doch schon einmal gestolpert!“, feixte er. „Also fällt das schon mal weg.“
„Wahrscheinlich falle ich heute direkt“, überlegte ich panisch, „oder vergesse, meine Zähne einzustecken! Oder das Blut…“
„Anouk, bleib locker!“, sagte Lukas laut.
„Ja“, meinte auch Liam, „du spielst doch die Sarah nicht zum ersten Mal! – Wie kommst du eigentlich mit dem neuen Grafen zurück? Alexej irgendwas.“
„Alexej Ivanow? Och ja, ganz gut“, entgegnete ich ausweichend. „Ich glaube, wir passen gut zusammen. Stimmlich.“
„Beruhigt mich, dass dass nur stimmlich passt“, lachte er. „Ich denke, ich muss langsam in die Maske, brauche ja immer eine Ewigkeit. Ich wünsche dir ganz viel Glück, Hals und Beinbruch, Toi, toi, toi und was es noch so gibt. Genieße den Abend!“
„Ja“, sagte ich zerstreut, „danke.“
„Und klopf’ drei Mal aufs Holz“, ergänzte er, „denn Danke sagen bringt Unglück.“
„Mach ich. Ich liebe dich.“
„Ich dich auch. Ich werde bald vorbeikommen!“
Lukas grinste mich an, als ich auflegte. „Na, hast du ein Glück! Nicht nur Premiere, sondern auch endlich ein Lebenszeichen von Liam!“
„Ja, endlich!“, bestätigte ich und wandte mich einigen der wartenden Fans zu, um Autogramme zu geben und ab und zu kleine Geschenke entgegenzunehmen: ein Gebiss aus Marzipan, aufwendig geklebte Collagen, kleine Briefe.
„Okay, gehen wir rein, ja?“, sagte ich nervös, als immer mehr Darsteller ankamen und sofort im Gebäude verschwanden.
Vor meiner Garderobe blieb ich kurz stehen und fotografierte den neuen Zettel an meiner Tür: Anouk Steger – Sarah. In der Garderobe legte ich nur kurz meine Geschenke bereit und mein Kleid, das ich mir für heute Abend vorsichtshalber mitgebracht hatte – ein schlichtes, nicht zu feines schwarzes Cocktailkleid mit passender Jacke. Dann schaltete ich sofort mein Handy aus, ohne eintreffende Nachrichten zu lesen, und ging in die Maske. Als ich in den halbdurchsichtigen Body schlüpfte und mein Nachthemd darüber zog, wurde mir ein wenig übel. Um mich abzulenken besuchte ich meine Kollegen in der Maske und sang mich mit Alexander, dem Professor, ein. Er schaffte es, mich zum lachen zu bringen und etwas zu entspannen, als er Wahrheit durchging und sich dabei sosehr im Text irrte, dass er improvisieren musste und seltsame Sachen sang. Und dann konnte ich es nicht länger vor mir herschieben: ich traf Alexej auf dem Gang, wo er seinen Text durchging, und gemeinsam übten wir einige Sachen.
„Übrigens!“, flüsterte ich ihm zu, kurz bevor die Overture begann, „das Blutbeutelchen nach dem Biss – was machst du damit?“
„Ich spucke es aus, was sonst?“, erwiderte er. Ich musste lächeln.
„Gut. Es gehört nämlich absolut nicht in meinen Ausschnitt.“
„Deinen Ausschnitt?“ Er warf einen kurzen Blick darauf und grinste. „Die Idee ist mir noch gar nicht gekommen.“
„Dann vergiss sie ganz schnell wieder!“, entgegnete ich – und fuhr erschrocken zusammen, als die Overture begann. Angelina, die Rebecca, klopfte mir kurz auf die Schulter, während Lukas sich bereit machte.
„Alles Gute, meine Tochter!“, grinste sie. Aber ich konnte erst entspannen, als ich versteckt in meiner Badewanne saß und das Lachen des Publikums höre, als meine Arme über dem Rand erschienen und ich mich langsam räkelte. Und als ich kurz darauf im Bett lag und Chagall meine Zimmertüre zunagelte, fühlte ich mich im warmen Scheinwerferlicht und zwischen den etwas muffigen Kissen fast wie Zuhause. Ich versang mich kein einziges Mal und genoss jede Sekunde so sehr, dass ich hinter der Bühne immer ein wenig abwesend war – so, wie wenn man von einem packenden Roman aufsah und erst ein wenig irritiert in die Wirklichkeit starrte.
Und Alexej? Der machte seine Sache auch sehr gut. Da ich völlig mit meiner Rolle im Einklang war, nahm ich es mir nicht ganz so übel, wie ich es hätte tun sollen, dass ich ihn insgeheim und ganz besonders bei Einladung zum Ball anschmachtete – seine Stimme war nämlich wirklich sehr attraktiv und facettenreich. Und er selber eigentlich auch.
„Puh, bin ich erleichtert!“, sagte ich, als der erste Akt vorüber war und Alexej als letzter im Backstagebereich auftauchte.
„Warum? Glaubst du, ich versinge mich?“, fragte er.
„Nein, ich bin nur froh, dass alles glatt gegangen ist: meine Auftritte, deine…“ Und ein bisschen verwirrt war ich auch schon wieder, weil ich meine Rolle eigentlich für die Pause abgelegt hatte – und jetzt war er nicht weniger anziehend. Wahrscheinlich lag das am Kostüm. Und an meiner Aufregung. Und überhaupt steigerte ich mich da in etwas hinein, das ich gar nicht wirklich wollte.
„Konnte man mich gut verstehen?“, fragte er, als wir beim Nachpudern saßen.
„Sehr gut“, entgegnete ich. „Keine Sorge.“
Die Pause ging schneller vorbei als jemals zuvor, und bevor Alexej die Treppe hinauf ging, wünschten wir uns noch einmal viel Glück.
Das Duett war an diesem Abend vergleichbar mit meinen Auftritten mit Marius: die Atmosphäre war eine besondere, aber diesmal konnte ich wirklich nicht sagen, woran es lag. Es war einfach alles sehr stimmig: die Stimmung im Publikum und auf der Bühne war sehr gespannt und… fasziniert, man konnte die Spannung beinahe greifen. Ähnlich war es später beim Biss: als ich die Treppe hinunterglitt, kribbelten meine Beine, und beim Biss jubelte irgendwer im Publikum. Ich hatte die Vermutung, dass es meine Familie war. Bei Draussen ist Freiheit Reprise legte ich so viel Bösartigkeit und Häme in meine Vampir-Stimme, dass ich dem Publikum und leider auch Lukas ein Lachen entlocken konnte – letzterer fing sich aber schnell wieder.
„Mann, Anouk, bist du verrückt?“, flüsterte er mir hinter der Bühne zu, während draußen das Finale spielte. „Warum hast du deinen Part abgeändert?“
„Ich weiß auch nicht“, erwiderte ich und verkniff mir ein Grinsen. „Aber dein Gesicht war echt witzig!“ Ich nahm dankbar Alexejs Taschentuch entgegen, um mir wenigstens dürftig den Mund und das Kinn abzuwischen, denn auf den Fotos vom Schlussapplaus wollte ich einigermaßen menschlich aussehen. Als wir die Bühne betraten, stellte ich erfreut fest, dass wir Standing Ovations bekamen und Alexej sofort zum Publikumsliebling geworden war. Er gab mir sogar einen Handkuss, und ich fühlte mich wie in einer Art Fiebertraum, als der Vorhang das letzte Mal fiel und Lukas verkündete, dass wir noch in der Hotelbar des nahe gelegenen Hotel Palace Berlin, in dem Alexej wohnte, bis er in seine Wohnung ziehen konnte, feiern würden. Wie gut, dass ich ein Kleid mitgenommen hatte, es handelte sich nämlich um ein recht schickes Hotel – mit leckeren und vor allem sehr alkoholhaltigen Drinks…
Was ich rette, geht zu Grund
Was ich segne muss verderben
Nur mein Gift macht dich gesund
um zu leben musst du sterben

Benutzeravatar
Gaefa
Musical-Fan
Musical-Fan
Beiträge: 2203
Registriert: 20.03.2007, 18:32:59
Wohnort: Göttingen

Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 30.10.2014, 17:59:45

Schöner langer Teil! Ich weiß immer noch nicht, was ich von der Konstellation Anouk / Liam / Alexej halten soll... Ich ahne, dass die Feier in der Hotelbar noch spannend werden wird! Bitte bald weiter.
~*Niemand nimmt mir meine Träume und schließt meine Sehnsucht ein, wo es Liebe gab und Freiheit wird mein Herz für immer sein*~

Benutzeravatar
Ophelia
Musical-Fan
Musical-Fan
Beiträge: 1434
Registriert: 10.04.2013, 16:02:28

Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 01.11.2014, 17:59:18

Hier kommt der nächste Teil. Ich würde mich über ein paar mehr Kommentare freuen ;)

In meinem Kopf fuhr mein Gehirn Loopings. Mir war unterschwellig schlecht, aber es war nicht schlimm genug, um mich zum Aufstehen zu bewegen. Träge dümpelte ich dahin, auf einem schaukelnden Untergrund, der immer unsicherer wurde. Vogelzwitschern und das Rauschen von vorbeifahrenden Autos drang mild in meinen Verstand und löste einen hämmernden, brennenden Kopfschmerz aus. Ich öffnete die Augen, nur einen Spalt breit, und stöhnte leise: selbst das schwache Licht tat weh! Ich ließ mich ins Kissen zurück fallen. Mein Gott, das war gestern wieder spät!, dachte ich ironisch, und automatisch spann mein Kopf das Lied weiter. Dabei ging ich zuerst nach Haus. – Zuerst? Bestimmt nicht. Aber mit Sicherheit konnte ich es nicht sagen, ich hatte nämlich keine Ahnung. Dein erster Filmriss, Anouk, dachte ich ironisch. Reichlich spät, aber immerhin. Ich seufzte und strengte mich an, meine bruchstückhafte Erinnerung zusammenzufügen. Nach der Premiere waren wir alle in die Hotelbar gegangen. Wir tranken etwas und tanzten und nach und nach gingen alle nach Hause, und –
OH! Ich zuckte erschrocken zusammen, als ich zu verstehen begann. Als Antwort raschelte das Bettzeug neben mir – neben mir! – und jemand brummte schläfrig. Ich kniff die Augen fest zusammen.
Das hast du nicht getan. Das. Ist nicht. Passiert!
Eine Hand tastete sanft nach meinem Arm, und ich blinzelte und warf einen schnellen Blick nach rechts. Schwarzes Haar, dunkle Augen. Ich starrte wieder gegen die Decke, bis mir ein neuer Gedanke kam. Vorsichtig hob ich die Decke, in die ich vollkommen eingewickelt war, und warf einen Blick auf mich. Okay, ich hatte nichts an, gar nichts. Und Alexej auch nicht, soviel ich erkennen konnte…
„Bitte sag mir, dass ich nur nackt bin, weil ich irgendeine dämliche Wette verloren habe!“, sagte ich.
„Eine Wette?“, fragte er langsam. „Nein, eher nicht…“
„Oh mein Gott“, murmelte ich leise und drückte die Fäuste gegen die Schläfen. Dachte an Liam. Und schrie es noch einmal: „Oh mein Gott!“ Mit einem Ruck stand ich auf – zumindest war das der Plan. Meine Trägheit und der Umstand, dass ich regelrecht mit der Bettdecke verknotet war, machten mir allerdings einen Strich durch die Rechnung: Ich fand meine Beine nicht wieder und zappelte hilflos halb liegend, halb sitzend herum. Alexej wollte mir helfen, aber ich schlug seine Hand weg.
„Lass mich bloß in Ruhe!“, fauchte ich. „Es reicht schon, dass wir miteinander… Verdammt!“ Ich riss an der Decke, befreite mich endlich und sprang aus dem Bett, darauf bedacht, immer schön in die Decke gehüllt zu bleiben. Alexej sah mich an und konnte sich offenbar nicht entscheiden, ob er belustigt sein oder sich in einen Streit mit mir einlassen sollte.
„Ich glaube das nicht!“, sagte ich anklagend. „Ich war betrunken und du hast das einfach so ausgenutzt? Das – das grenzt ja schon an Missbrauch!“ Ich wusste, das war übertrieben, aber meine Nerven lagen blank. „Hast du gar nicht nachgedacht, wie ich mich fühlen könnte? Und was ist mit dem Ensemble, hat jemand was mitbekommen? – Oh Gott, Alexej! Ich… ich bin… ich…“ Ich schnappte nach Luft, während er mit geduldig zuhörte.
„Bist du jetzt fertig?“, fragte er ruhig.
„Nein. – Das ist schäbig!“
„Nun, ehrlich gesagt“, entgegnete er und setzte sich auf, „warst du es, die sich mir, hm, wie sagt ihr? – An den Hals geworfen hat.“
„Was?“, schnappte ich und schüttelte entschieden den Kopf. „Nie im Leben. Daran könnte ich mich doch erinnern!“
„Du warst nicht mehr ganz nüchtern“, lenkte er ein. „Es würde mich wundern, wenn du dich an irgendetwas erinnern kannst. Was schade ist, denn die Nacht war-“
„Ich will das nicht hören!“ Himmel, ich kreischte beinahe! Mir kamen die Tränen, und ich begann, meine Kleidungsstücke mit fahrigen Fingern aufzuklauben. Sie lagen überall herum.
„Wo ist das verdammte Bad?“, fragte ich und lief durch das Zimmer. Aber ich fand es, ehe er antwortete, und knallte die Türe zu, drehte den Schlüssel im Schloss… Ich konnte keine Ruhe bewahren, während ich mich hektisch anzog. Ein Blick in den Spiegel sagte mir, wie lang die letzte Nacht ungefähr war. Ich versuchte, die letzten Reste Schminke zu entfernen und spülte mir den Mund aus. Mir war immer noch schlecht. Aber die Schuld saß mir im Nacken und überwog alles körperliche. Verzweifelt sank ich auf den Klodeckel und vergrub den Kopf in den Händen. Wer weiß alles hiervon?, fragte ich mich. Wer wird derjenige sein, der nicht dichthält? Verdammt, ich liebe Liam! – Aber warum fühle ich mich so zu Alexej hingezogen? An seiner Rolle liegt es definitiv nicht – seinem Vorgänger bin ich ja auch nicht nachgerannt!
Es klopfte an die Tür. „Anouk, mach bitte die Türe auf“, sagte er gedämpft. Aber ich blieb, wo ich war. Weil ich mich schrecklich fühlte, eine hinterhältige Freundin war, die den Namen nicht verdiente.

„Sarah? Ich bin’s“. Ich drückte das Telefon ans Ohr.
„Anouk?“ Sie klang halb überrascht, halb erleichtert. „Mann, dass du überhaupt dazu in der Lage bist, zu telefonieren!“ Sie kicherte. „Ich habe vergessen, wie wenig Alkohol du verträgst! Du nimmst mir das doch nicht übel, oder?“
Ich atmete tief ein. „Sarah – was ist gestern passiert?“
Sie schwieg kurz irritiert. „Was?“, fragte sie dann.
„Ich… kann mich nicht wirklich an irgendetwas erinnern“, antwortete ich langsam, auch wenn das nicht ganz die Wahrheit war. Um ehrlich zu sein, drängten sich mir immer mehr Erinnerungen auf, die ich gar nicht haben wollte – und durfte!
„An nichts? Das ist… Na ja, schade. Eigentlich war es eine nette Runde, deine Eltern sind recht früh gegangen, aber da warst du noch nüchtern.“
„Ja, das weiß ich noch.“
„Aber danach hat irgendwer eine runde Cocktails bestellt, und – Mensch, die waren wirklich gut! Dir sind die allerdings nicht so bekommen.“ Sie lachte kurz. „Nicht, dass irgendetwas peinliches passiert ist, aber… na ja, du warst ein wenig ausgelassener als sonst. Stand dir aber gut.“
Ich stützte den Kopf auf die Hand. „Ich habe was schlimmes gemacht“, sagte ich dann.
„Unsinn. Du warst betrunken, das ist-“
„Ich habe mit Alexej geschlafen!“
Diesmal dauerte die Stille bedeutend länger. Ich begann zu weinen, weil mich mein schlechtes Gewissen wirklich quälte und weil ich mich selbst nicht mehr ertragen konnte.
"Bist du morgen im Theater?"
"Ja, muss ich wohl. Ab halb sechs ungefähr."
"Okay. Ich werde versuchen, vorbeizukommen."
Was ich rette, geht zu Grund
Was ich segne muss verderben
Nur mein Gift macht dich gesund
um zu leben musst du sterben

Benutzeravatar
Gaefa
Musical-Fan
Musical-Fan
Beiträge: 2203
Registriert: 20.03.2007, 18:32:59
Wohnort: Göttingen

Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 02.11.2014, 12:30:31

Oh je, ich habe fast befürchtet, dass irgendwas schief geht - aber das ist wirklich das worst case Szenario! Ich weiß grad noch gar nicht, was ich genau dazu sagen soll, es hat mir irgendwie etwas die Sprache verschlagen. Anouk tut mir echt leid, keine vorteilhafte Situation, vor allem nicht, wenn sie mir ihm weiterhin spielen soll. Bitte lass mich nicht zu lange warten, wie es weiter geht, das ist grad total spannend!

Und zu deiner Bitte: Ich fürchte es hilft nicht, wenn ich mehrere Beiträge schreiben würde, oder? ;)
~*Niemand nimmt mir meine Träume und schließt meine Sehnsucht ein, wo es Liebe gab und Freiheit wird mein Herz für immer sein*~

Benutzeravatar
little miss sunshine
Musical-Expert
Musical-Expert
Beiträge: 3188
Registriert: 28.03.2010, 13:16:24
Wohnort: Dortmund (NRW)

Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon little miss sunshine » 02.11.2014, 21:45:41

Ich musste erst mal einiges aufholen (war jetzt am WE kaum zu Hause und daher selten online).
Ich finde es toll,wie schnell und viel und gut formuliert du Neues "produzierst" :mrgreen: .
Aaaaber: Passt es zu der an sich schüchternen und treuen Anouk,einfach so mit Alexej zu schlafen? Klar,jeder Mensch macht/hat Fehler,und wahrscheinlich ist in der Beziehung mit Liam schon seit einer Weile der Wurm drin (da sie sich ja auch kaum sehen und so).aber dann direkt zum Nächsten zu "springen" ist sicherlich auch keine Lösung...
Ich bin gespannt wie es weitergeht!
Is this the real life, is this just fantasy...

The air is humming, and something great is coming!

Benutzeravatar
Ophelia
Musical-Fan
Musical-Fan
Beiträge: 1434
Registriert: 10.04.2013, 16:02:28

Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 03.11.2014, 18:10:29

@Gaefa: :lol: Ich glaube, das würde nicht helfen
@littlemiss sunshine: Na ja, immerhin war sie betrunken ;)
Und jetzt geht's weiter.

Wie versprochen, kam Sarah am Dienstag Nachmittag ins Theater.
Nachdem meine Tränen wieder einigermaßen getrocknet waren, gewann ich auch wieder etwas an Fassung.
„Ich wusste nicht, dass du ihn so gut findest!“, sagte Sarah und rieb mir mitfühlend über den Rücken. Offenbar verstand sie meine Tränen völlig falsch. Energisch schüttelte ich den Kopf.
„Nein, das tue ich auch nicht! Ich fand ihn total… cool, sexy, anziehend, nenn es wie du willst.“ Ich zögerte kurz. „Okay, ich geb’ zu, manchmal habe ich mir gewünscht, da wäre mehr, aber immer, wenn er seine dummen Andeutungen gemacht hat, da… wusste ich, dass mich… so etwas nur verunsichern würde. Und jetzt, nach heute morgen… Ich liebe Liam!“ Ich wusste es, ich konnte es spüren, so stark wie nie zuvor. Wie seltsam, dass uns manche Sachen erst so richtig bewusst wurden, wenn wir dabei waren, sie zu verlieren! Endlich wusste ich, was meine verwirrenden Gefühle zu bedeuten hatten – alles fügte sich ineinander wie ein großes Puzzle: ich hatte einfach Liebe, Zuneigung und Bewunderung gebraucht – und meine Gefühle hatten sich vom nächstbesten, interessanten Mann um den Finger wickeln lassen.
„Und jetzt verletze ich nicht nur Liam, weil ich ihn betrogen habe, sondern auch Alexej, weil er offenbar denkt, ich will tatsächlich was von ihm!“
„Liam?“ Sie sah mich mit großen Augen an. „Wirst du es ihm etwa sagen?“
Ich starrte fassungslos zurück. „Na… natürlich!“, stammelte ich. „Ich meine… Vertrauen und so weiter, das war es immer, was ich wollte!“
„Schon“, erwiderte sie langsam, „aber… Ich kenne Liam. Bist du sicher, er würde das einfach so hinnehmen und entschuldigen?“
„Du meinst also, ich soll ihm nichts sagen?“
Sie dachte kurz nach. „Ich weiß es nicht“, sagte sie dann. „Die Frage ist: wie viel kannst du mit dir ausmachen?“
Ich zuckte mit den Schultern, weil mich eine weitere Erkenntnis bemächtigte: ich würde mit Alexej auf der Bühne stehen, mit ihm spielen, Liebe zu ihm spielen müssen. Er würde mich berühren und mich immer wieder an meinen schrecklichen Fehltritt erinnern. Und plötzlich würde mir mit aller Macht klar, dass ich etwas unverzeihliches getan hatte – ich hatte Liam nicht mit irgendwem betrogen, ich hatte ihn mit meinem Kollegen, meinem Bühnenpartner betrogen, und kaltblütig, wie ich war, würde ich einfach weiterspielen und Unschuld heucheln. Wie konnte er jemals sicher sein, dass ich bisher immer treu zu ihm gewesen war? Ich begann wieder zu weinen, und Sarah wurde ein wenig hilflos, ehe sie mein neuerliches Gestammel verstanden hatte.
„Vielleicht solltest du mit Alexej-“
„Gar nichts werde ich mit ihm!“, unterbrach ich sie heftig, und im gleichen Augenblick klopfte es an die Türe. Wir sahen uns kurz an.
„Kannst du…?“
Sie nickte und stand auf, und ich versuchte vergeblich, meine Tränen zu trocknen.
„Hm… nein, ich… weiß nicht genau…“ Sie drehte sich unsicher zu mir um und formte mit den Lippen lautlos Alexejs Namen. Abermals schüttelte ich bestimmt den Kopf.
„Nein, sie… kann gerade nicht. Tut mir leid. Tolle Show übrigens am Sonntag! Vielleicht versuchst du’s später einfach noch mal.“ Sie drückte die Türe wieder zu und kam zu mir zurück.
„Du weißt schon, dass du ihm nicht davonlaufen kannst?“
„Ich weiß.“ Ich kämpfte schon wieder mit den Tränen. „Ich glaube nicht, dass ich das heute Abend schaffe!“

„Entschuldigen? Aber warum denn entschuldigen?“, fragte Emmanuel und musterte mich argwöhnisch. Ich stand mit gesenktem Kopf vor ihm, bereits im Kostüm.
„Ich… fühle mich nicht so gut…“
„Die Aufregung, Anouk.“ Er klopfte mir auf die Schulter. „Ich weiß, dass du Perfektionistin bist, aber mach dir keine Gedanken! Deine Premiere war ja auch gut!“
Ich erwog kurz, noch etwas zu sagen, aber dann merkte ich, dass es zwecklos war: solange ich nicht wirklich irgendwelche Fieberanfälle oder Heiserkeit hatte, würde mich hier niemand gehen lassen. Ich ließ die Schultern sinken.
„Ist gut. Danke, Emmanuel.“
Er warf mir noch einmal einen aufmunternden Blick zu, ehe er mich mitten im Gang stehen ließ. Ich lehnte mich gegen die kalte Betonwand und starrte auf meine Schuhe. Na toll. Seit einer Ewigkeit freute ich mich auf diese Rolle, und jetzt war alles falsch.
„Du siehst schlecht aus“, ertönte es hinter mir.
„Ja, danke, Daniel. Das ist genau das, was ich hören wollte.“ Ich verschränkte die Arme vor der Brust und musterte finster sein Kostüm und seine auslandende Perücke. Er sah nicht wie jemand aus, mit dem man ein ernstes Gespräch führen sollte.
„Ich will ja nicht aufdringlich wirken“, grinste er, „aber auf der Premierenfeier… Das mit Alexej, war es das, wonach es aussah?“
„Was sah denn wonach aus?“, fragte ich schnippisch und so, als ob ich von allem eine Ahnung hätte.
„Na, deine Anmache.“
„Meine Anmache?“, wiederholte ich laut. Hastig senkte ich die Stimme. „Okay, ich flehe dich an: erzähl mir die Wahrheit, ohne sie zu genau auszuschmücken!“
Er musterte mich und ich konnte richtiggehend sehen, wie es in seinem Kopf arbeitete.
„Na ja, du warst nach diesen Cocktails sofort ziemlich betrunken“, entschied er sich schließlich, meiner Bitte zu folgen. „Du hast ein bisschen mit Lukas rumgealbert, dem der Alkohol auch nicht so bekommen ist, und dann hast du dir Alexej geschnappt und“, er zuckte mit den Mundwinkeln, „gerufen: Komm schon, Dracula, nicht so ernst! Schlafen kannst du in der Gruft genug!
Ich starrte ihn fassungslos an. „Nein!“
„Doch!“ Er kicherte, wurde aber schnell wieder ernst, als er meinen Blick bemerkte. „Dann habt ihr getanzt, ich glaube – ach was, ich bin mir schon lange sicher – dass er dich ziemlich gut fand, und… Was soll ich sagen? Er sagte, er wolle in sein Zimmer, und du hast gesagt: da komm ich einfach mit wenn’s nicht stört!
„Und was hat er gesagt?“
Er sah ziemlich finster aus. „Hör mal, Anouk, ich finde das nicht gerade toll, so von Ex-Freund zu Ex-Freundin mit dir zu sprechen.“
Ich stöhnte. „Du hast keinen Grund, eifersüchtig zu sein, okay? Sag mir bitte einfach, was er gesagt hat!“
Er zögerte kurz. „Er sagte, natürlich mache es ihm nichts aus. Dann seid ihr gegangen. – Und war es nun das, wonach es aussah?“
Ich verbarg beschämt das Gesicht in den Händen. „Ja“, antwortete ich leise. Er klopfte mir wie zuvor Emmanuel auf die Schulter.
Aber diese Art von Aufmunterung half mir nicht wirklich weiter – denn die Show stand kurz bevor und mir war unglaublich schlecht vor Aufregung.
Was ich rette, geht zu Grund
Was ich segne muss verderben
Nur mein Gift macht dich gesund
um zu leben musst du sterben

Benutzeravatar
Gaefa
Musical-Fan
Musical-Fan
Beiträge: 2203
Registriert: 20.03.2007, 18:32:59
Wohnort: Göttingen

Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 03.11.2014, 19:41:44

Oh oh, es wird einfach nicht besser. Aber warum muss Daniel jetzt auch noch davon wissen?? Sie hätte es besser für sich behalten sollen, wenn sie nicht will, dass es an die große Glocke gehängt wird. Und ein Gespräch mit Alexej ist schon deutlich überfällig! Sag mal, wenn sie Dienstag Abend haben, lag die Premiere dann auf einem eigentlich spielfreien Montag? mh, etwas seltsam ehrlich gesagt.
Bitte bitte bald weiter - es ist noch immer sooo spannend!
~*Niemand nimmt mir meine Träume und schließt meine Sehnsucht ein, wo es Liebe gab und Freiheit wird mein Herz für immer sein*~

Benutzeravatar
Ophelia
Musical-Fan
Musical-Fan
Beiträge: 1434
Registriert: 10.04.2013, 16:02:28

Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 06.11.2014, 18:28:55

Gaefa hat geschrieben:Sag mal, wenn sie Dienstag Abend haben, lag die Premiere dann auf einem eigentlich spielfreien Montag?

Oh, hab ich mich irgendwo verschrieben oder mich undeutlich ausgedrückt? Jedenfalls war ihre Premiere am Sonntagabend, sodass in der Nacht auf den spielfreien Montag das Unglück passierte.
Danke für dein anhaltendes Interesse :) Hier kommt der neue Teil:

Es war eigentlich gar nicht so schlimm, wenn ich nur einmal auf der Bühne stand. Meine Angst, jeder könnte mir meinen Fehltritt ansehen, war natürlich völlig abwegig, allerdings hielt meine neue Ruhe nur bis Einladung zum Ball vor. Es kam mir geradezu dreist vor, mich in einem hautfarbenen und beinahe durchsichtigen Anzug von Alexej auf eine wirklich verführerische Weise ansingen zu lassen, nach allem, was passiert war zwischen uns. Ich wusste überhaupt nicht, wo ich hinsehen sollte, und irgendwann starrte ich an seiner Schulter vorbei gegen das Hausdach. Ich versuchte, mir meinen Frust von der Seele zu singen, aber auch diese Strategie funktionierte nicht so gut wie sonst.
„Was ist denn los?“, zischte Alexej mir im Off zu, als ich ein wenig atemlos von meiner Flucht durch den Zuschauerraum hinter der Bühne ankam.
„Du verpasst deinen Auftritt“, entgegnete ich kühl, und tatsächlich wäre er beinahe zu spät auf der Bühne erschienen. Dass unser Gespräch nur aufgeschoben und nicht aufgehoben war, war mir allerdings klar. Schon eine Minute nach seinem monumentalen Schlusston stand er wieder vor mir – und das, obwohl ich gerade die heimliche Flucht in die Maske antreten wollte. Er hielt mich einfach am Arm zurück und sah mich zornig an.
„Anouk, ich verstehe nicht!“, sagte er eindringlich. Ich machte mich von ihm los.
„Brauchst du auch nicht“, entgegnete ich, aber meine Coolness von eben hatte einen Knacks bekommen. „Ich möchte gar nicht darüber reden.“ Ich drehte ihm den Rücken zu und ging. Ganz toll, Anouk. Wieder nur aufgeschoben. So wie er aussieht, beißt er dich gleich wahrscheinlich wirklich!
Das unangenehme an Totale Finsternis war, dass ich über Gefühle sang, die ich Liam gegenüber hatte, aber mit Alexej ausgelebt hatte. Ich wusste, ich musste als professionelle Darstellerin Alltagsprobleme hinter mir lassen, aber was, wenn mein Rollenpartner mein Problem war? Ich war sehr froh, als die Vorstellung vorüber war. So schnell ich konnte zog ich mich um und brachte die Kostüme weg, aber so leicht ließ Alexej mich natürlich nicht gehen. Ich konnte ihn ja verstehen – aber konnten wir die Sache nicht erst einmal ruhen lassen?
„Also, was ist nun los?“, fragte er, nachdem er mich nachdrücklich in seine Garderobe dirigiert hatte. Ich blieb trotzig mitten im Raum stehen und sah ihm finster entgegen.
„Was ist wohl los?“, erwiderte ich hart. „Ich habe meinen Freund mit dir betrogen – ausgerechnet mit dir!
„Was soll das heißen – ausgerechnet mit mir?“ Sein Akzent wurde stärker, wenn er sich ärgerte – und das tat er ganz gewaltig. „Ich dachte, du wolltest es auch.“
„Ich ja auch“, sagte ich, „aber… Ich kann es nicht erklären“, brach ich frustriert ab. „Um es kurz zu fassen: ich habe Liam so sehr vermisst, dass ich mich auf den nächstbesten eingelassen habe, nur um irgendwen zu haben.“
Er hatte sichtlich an meiner Antwort zu kauen. „Also war ich nur ein Lückenfüller“, stellte er fest.
„Nein!“, rief ich – und hielt inne. „Das ist ungerecht!“, änderte ich meine Taktik. „Du wusstest doch, dass ich vergeben bin!“ Ich kehrte ihm den Rücken zu, weil ich seinen verletzten und eindringlichen Blick nicht mehr erragen konnte, und dabei fiel mir ein Foto ins Auge, das, ordentlich eingerahmt, auf seinem Tisch stand. Für einige Herzschläge lang konnte ich nur fassungslos darauf starren, dann nahm ich es in die Hand und drehte mich ungläubig zu ihm um. Auf dem Bild waren, neben Alexej, eine nette blonde Frau und ein kleiner Junge zu sehen, der Alexej jetzt schon wie aus dem Gesicht geschnitten war. Jetzt war es an ihm, mir trotzig entgegen zu sehen.
„Okay“, sagte ich langsam, „so etwas wie Beziehungsstatus scheint bei dir keine Rolle zu spielen.“
„Deine Signale waren eindeutig!“, setzte er hitzig dagegen und nahm mir mit einer schnellen Bewegung das Foto ab.
„Welche Signale denn?“, fragte ich empört.
„Na, deine Blicke, alles… Du hättest sagen können nein jederzeit, ich habe gedacht, du… Es waren alles sehr klar für mich!“ Er warf die deutsche Grammatik vor Zorn ganz schön durcheinander. Er fluchte kurz in seiner Muttersprache und griff nach meiner Hand. „Verdammt, Anouk! Gerade weil ich wissen, dass du einen Freund hast, ich dachte dir war es ernst!“
„Ich war betrunken!“, rief ich und machte mich los. „Du hast doch genau gesehen, was passiert, wenn ich zu viel trinke!“
Er schnaubte. „Es hat dich aber auch keiner aufgehalten von deine Freunden. Denk mal darüber nach.“
„Was hat das denn mit meinen Freunden zu tun?“, schrie ich, alle Fassung verlierend. „Für wen hältst du dich eigentlich? Glaubst du, du kannst dir nehmen, was du willst, nur weil es dir gefällt? Glaubst du, nur deine Gefühle zählen, und dass ich die gleiche Einstellung zu meinem Partner habe wie du zu deiner Familie? Meinetwegen kannst du deine nette Frau da betrügen, so viel du willst, aber nicht mit mir, und nicht, wenn ich nicht ich selbst bin!“ Ich wich bis zur Tür zurück, riss sie auf und stürmte durch den Gang zurück in meine Garderobe.

Natürlich war unser Streit nicht ungehört geblieben, und am nächsten Tag stellte Emmanuel mich zur Rede. Ich behauptete, es sei nichts, das für die Show bedeutsam werden könnte und versicherte ihm, auf der Bühne weiterhin professionell zu bleiben. Und das tat ich tatsächlich: ich blieb betont sachlich, als wir uns hinter der Bühne und während der Show begegneten, ich spielte meine Rolle wie immer, ich ging auf sein Rollenverhalten ein und staunte selbst über meine Unverfrorenheit. Nach der Show war ich allerdings so erschöpft, dass ich nicht mal die Kraft für einen neuen Streit hatte, als Alexej vor meiner Garderobe wartete.
„Kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?“, fragte ich müde.
„Ich will nur keinen Streit mehr“, sagte er versöhnlich. „Und ich muss dir etwas sagen.“
„Warte wenigstens, bis ich umgezogen bin“, entgegnete ich, völlig zerschlagen, und öffnete meine Türe.
„Nein, Anouk, ist wichtig!“, sagte er noch hastig, aber da stand ich schon im Türrahmen und starrte fassungslos auf die Gestalt, die da auf meinem Sofa saß: es war Liam.
Was ich rette, geht zu Grund
Was ich segne muss verderben
Nur mein Gift macht dich gesund
um zu leben musst du sterben

Benutzeravatar
Gaefa
Musical-Fan
Musical-Fan
Beiträge: 2203
Registriert: 20.03.2007, 18:32:59
Wohnort: Göttingen

Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 06.11.2014, 19:33:00

Oo es wird immer komplizierter! Gar nicht gut, dass sie sich so laut streiten, dass das halbe Theater dieses Theater mitbekommt ;) Aber es ist auch nicht die feine englische Art von Alexej seine Freundin/Frau (?) zu betrügen, die wohl mit dem Sohn zu Hause in Russland ist. Aber warum taucht Liam aus heiterem Himmel auf?? Oh man, die Spannung reißt momentan nicht ab, bitte bald weiter - ich will wissen, was jetzt passiert. Bekommt er es raus? Warum ist er plötzlich da? Warum hat er sich aber sonst nicht bei Anouk gemeldet?? Fragen über Fragen, die sich hoffentlich bald aufklären!!
~*Niemand nimmt mir meine Träume und schließt meine Sehnsucht ein, wo es Liebe gab und Freiheit wird mein Herz für immer sein*~

Benutzeravatar
little miss sunshine
Musical-Expert
Musical-Expert
Beiträge: 3188
Registriert: 28.03.2010, 13:16:24
Wohnort: Dortmund (NRW)

Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon little miss sunshine » 06.11.2014, 19:39:07

Gaefa hat geschrieben:Oo es wird immer komplizierter! Gar nicht gut, dass sie sich so laut streiten, dass das halbe Theater dieses Theater mitbekommt ;) Aber es ist auch nicht die feine englische Art von Alexej seine Freundin/Frau (?) zu betrügen, die wohl mit dem Sohn zu Hause in Russland ist. Aber warum taucht Liam aus heiterem Himmel auf?? Oh man, die Spannung reißt momentan nicht ab, bitte bald weiter - ich will wissen, was jetzt passiert. Bekommt er es raus? Warum ist er plötzlich da? Warum hat er sich aber sonst nicht bei Anouk gemeldet?? Fragen über Fragen, die sich hoffentlich bald aufklären!!

Ahhh Fragen über Fragen!
Die Situation ist schrecklich - was du sehr gut beschreibst,weil man mitfiebert -...hoffentlich gibt es für Anouk bald ein gutes Ende (Ideen dazu hätte ich...)^^
Is this the real life, is this just fantasy...

The air is humming, and something great is coming!

Benutzeravatar
Dori
Grünschnabel
Beiträge: 60
Registriert: 09.07.2012, 14:05:33

Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Dori » 06.11.2014, 19:50:18

Ich muss ja gestehen, dass ich an der Stelle des "Morgen danach" etwa grinsen musste, auch wenn es natürlich für die Beziehung zu Liam gar nicht gut ist. Schwierig, wie man mit so etwas umgeht. Sagt man es ihm oder nicht?

Finde es nur etwas unfair, Alexej so anzumeckern, nur weil Anouk vermutlich selbst nicht weiß mit der Situation umzugehen.

Ich bin auch sehr gespannt, warum Liam auf einmal da ist. :-)

Benutzeravatar
armandine
Musical-Expert
Musical-Expert
Beiträge: 3209
Registriert: 17.10.2007, 01:07:09

Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon armandine » 07.11.2014, 16:52:53

Das wird ja ziemlich kompliziert. Allerdings finde ich den Dreh mit Alexeijs Familie gut, dann braucht sich Annouk nicht so schlecht zu fühlen seinetwegen, denn dann war sie wohl doch nur eine kleine Affäre für ihn. Dann allerdings muss sie sich dringend um Liam und ihre Beziehung kümmern.

Benutzeravatar
Ophelia
Musical-Fan
Musical-Fan
Beiträge: 1434
Registriert: 10.04.2013, 16:02:28

Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 08.11.2014, 12:45:13

Wow, so viele Kommentare - danke :) Da freu ich mich ja, dass diese neue Entwicklung für so viel Rätselraten und Spannung sorgt! :D Zumindest auf einige weige Fragen kommt nun eine Antwort:

Ich starrte ihn einige Herzschläge lang einfach nur verdattert und fassungslos an. Liam grinste mir entgegen.
„Die Überraschung ist wohl gelungen!“, stellte er fest.
„Ja, das… das ist sie tatsächlich!“, stammelte ich und mühte mir ein Lächeln ab, während ich auf ihn zuging. Er schloss mich in die Arme und küsste mich, als hätten wir uns Jahre nicht gesehen.
„Du warst einfach großartig!“, flüsterte er mir ins Ohr, „einfach toll! Als du in diesem Kleid die Treppe runterkamst… Ich liebe dich!“ Er küsste mich noch einmal, aber mir war plötzlich kalt. Er schien meine Unsicherheit zu bemerken und schob mich auf Armeslänge von sich weg.
„Alles okay mit dir?“, fragte er stirnrunzelnd.
„Ja, ich… bin nur… müde“, erwiderte ich lahm und mit butterweichen Beinen. Plötzlich schien mir mein Kleid zu eng, um darin atmen zu können, der ausladende Rock zu aufdringlich und das Blut an meinem Hals wie ein Brandmal. Ich wandte mich von Liam ab, riss ein paar Tücher aus der Pappdose an meinem Schminktisch und begann mir mit zu ruckartigen Bewegungen die rote Farbe abzuwischen. Erst, als ich in den Spiegel sah fiel mir wieder ein, dass Alexej mich wahrscheinlich hatte warnen wollen – jetzt stand er immer noch etwas unentschlossen und verloren vor der Türe und beobachtete uns. Ich drehte mich hastig zu ihm um. Aber Liam hatte ihn schon bemerkt.
„Das ist Alexej“, sagte ich unnötigerweise. Der Name brannte mir unangenehm auf der Zunge, und meine Hände, die das Tuch hielten, begannen zu zittern.
„Ja, ich weiß“, entgegnete Liam und grüßte Alexej mit einem höflichen, aber verwirrten Nicken. „Ähm… ist es okay, wenn ich die Türe zumache?“
„Eigentlich ich wollte noch kurz ein Wort reden mit Anouk“, antwortete Alexej an meiner statt. Ich schluckte und starrte ihm entgegen und schüttelte unmerklich den Kopf. Mir war übel vor lauter Angst und Schuld, meine Beine kribbelten unangenehm. Als er sich nicht vom Fleck bewegte, ging ich auf ihn zu und wunderte mich, dass meine Beine mich überhaupt noch trugen.
„Jetzt nicht!“, zischte ich ihm zu und schlug ihm die Türe vor der Nase zu. Für einen Moment umklammerte ich mit klebrigen Fingern die Klinke.
„Habt ihr beide ein Problem oder so?“, fragte Liam nach einer Weile unangenehmen Schweigens. Die Atmosphäre hatte sich schlagartig verändert – sie war angespannt und unsicher, für mich aus sehr verständlichen Gründen, aber Liam verunsicherte es. Langsam drehte ich mich zu ihm um und pulte an meiner Spitzenbordüre am Ausschnitt herum.
„Ja, wir… unsere Beziehung ist nicht sehr… wir hatten einen Streit…“ Ich brach ab. Meine Stimme klang hoch und schrill.
„Das tut mir leid“, erwiderte er, verwirrt von meiner eigenartigen Stimmung. „Aber auf der Bühne hat man euch das nicht angesehen.“ Er ging auf mich zu, nahm meine Hand und führte mich zum Sofa. „Ich bin fast neidisch! Ihr ergänzt euch wirklich wunderbar!“ Er lachte tief. „Der Blick, den er dir bei der Einladung zugeworfen hat…“
Ich rückte automatisch von ihm ab, und seine Hand, die bis dahin meine Mitte umfasst hatte, fiel auf das Sofa.
„Irgendwas stimmt doch nicht!“, sagte er, und diesmal klang er wirklich misstrauisch. Ich schluckte und wünschte mir plötzlich, mich besser verstellt zu haben – jetzt war es zu spät, jetzt war ich schon auf dem Weg zur Wahrheit.
„Ich…“, begann ich – und fand nicht die richtigen Worte. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Ich warf einen Blick auf Liam, und er starrte mich befremdet an – befremdet und immer misstrauischer.
„Alexej und ich…“, begann ich wieder und knetete unruhig meine Hände im Schoß. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er sich versteifte; nur noch auf der Sitzkante balancierend, starrte er mich eindringlich an und ich bemerkte, dass allein dieser Satzfetzen alles verriet. Mein Herz raste, es schlug in meinem Hals, meinem Magen, meinem Kopf, und obwohl das Blut in meinen Ohren rauschte, waren meine Finger eiskalt und gefühllos. Ich verbarg das Gesicht in den Händen und begann zu weinen; diese ganze Situation fühlte sich an wie ein Alptraum und doch war mir schmerzlich bewusst, wie real sie war. Mein Schluchzen war für lange Zeit das einzige Geräusch im Raum. Erst, als Liam aufstand, kam Leben in mich zurück; verzweifelt sah ich auf.
„Bitte lass es mich erklären!“, flehte ich und griff unwillkürlich nach seiner Hand. Aber er zog sie sofort wieder zurück, und der Blick, mit dem er mich bedachte, trieb mir erneut Tränen in die Augen: verletzt, wütend und angeekelt.
„Was gibt es da noch zu erklären?“, fragte er kalt. Ich stand auf, als er auf die Türe zusteuerte, und versperrte ihm den Weg. Das kühle Metall in meinem Rücken hielt mich aufrecht.
„Ich war betrunken!“, rief ich verzweifelt gegen seinen abgestoßenen Blick an. „Auf meiner Premierenfeier. Ich wollte das nicht, ich schwöre es dir! Erst, als ich morgens aufgewacht bin, ist mir… ist mir alles klar geworden! Seitdem kann es ich nicht ertragen, mit ihm zu spielen, überhaupt noch zu spielen! Es hat nichts zu bedeuten, Liam, ich liebe dich, nur dich! Ich… würde alles tun, um das wieder rückgängig zu machen!“
„Merkst du eigentlich, was du da redest?“, fragte er laut. „Du verlangst von mir, dass ich dir verzeihe-“
„Nicht mal das, nur verstehen!“, fiel ich ihm flehend ins Wort.
„Ich will dich nicht verstehen!“, rief er. „Gott, weißt du eigentlich, wie ich mich… fühle, was ich… Bah, Anouk! Und dann besitzt du auch noch die Dreistigkeit, einfach zu spielen, als sei nichts geschehen! Jeden Abend spielt ihr Verliebte, jeden Abend… ziehst du dich vor ihm aus!“
„Das ist doch etwas völlig anderes!“, erwiderte ich hilflos. „Das ist meine Rolle! Außerdem… kannst du dir gar nicht vorstellen, wie schlecht ich mich dabei fühle, wie sehr ich mich schäme!“
„Ich hoffe, du kannst dir vorstellen, wie ich mich fühle“, erwiderte er kühl, „und wie sehr ich mich schäme, überhaupt hergekommen zu sein – dich gelobt zu haben!“ Er schob mich unwirsch zur Seite und öffnete die Türe, und in einer letzten verzweifelten Aktion hängte ich mich an seinen Arm und zerrte ihn zurück.
„Bitte, Liam, lass uns darüber reden!“
„Ihr Frauen wollt immer nur reden“, erwiderte er müde, „aber wenn wir Männer euch betrügen, habt ihr geradewegs das Gesetz auf eurer Seite, uns achtkantig rauszuwerfen.“ Er drehte sich zögernd zu mir um, suchte nach Worten und fand anscheinend nur schwerlich welche. „Ich… kann das jetzt nicht, Anouk. Ich… will dich nicht sehen… Tut mir… Ach, verdammt!“ Er kehrte mir den Rücken zu und ging den Gang hinunter, und erst jetzt fielen mir die Augenpaare auf, die uns erschrocken musterten, und entsetzt schlug ich die Türe zu und drehte den Schlüssel im Schloss, so lange, bis er auf Widerstand stieß. Und dann verfiel ich wieder in heilloses Weinen.

Ich schlich erst spät aus dem Theater, verweint und müde. Trotzdem fand ich Zuhause keinen Schlaf; Hunderte von Fragen quälten mich: Wo war Liam jetzt? Würde er mir je verzeihen? Was dachten meine Kollegen jetzt? Würde man mich rausschmeißen, weil ich so oft schrie, weinte und überhaupt nur Unsinn anzustellen schien? Erst bei Morgengrauen fiel ich in einen unruhigen Schlaf und wurde erst um halb zwei am Mittag vom Klingeln des Telefons wach. Die Nummer meiner Mutter leuchtete auf dem Display, aber ich wollte mit niemandem reden; ich schrieb ihr, dass es mir nicht gut ginge und schaltete wenigstens das Handy aus. Mehrere Male war ich drauf und dran, Liam anzurufen, aber immer wieder knickte ich unter der Last meiner Schuld ein. Erst am Nachmittag kroch ich aus meinem Bett; ich rief das Theater an und ließ ausrichten, ich läge mit Migräne zu Hause. Es tat ihnen leid; gute Besserung und so weiter. Ich hörte kaum hin. Ich fühlte mich elend und konnte mir nicht vorstellen, jemals wieder irgendeinem meiner Kollegen unter die Augen zu treten.
Was ich rette, geht zu Grund
Was ich segne muss verderben
Nur mein Gift macht dich gesund
um zu leben musst du sterben

Benutzeravatar
Gaefa
Musical-Fan
Musical-Fan
Beiträge: 2203
Registriert: 20.03.2007, 18:32:59
Wohnort: Göttingen

Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 08.11.2014, 23:20:29

Das klingt nach keiner guten Entwicklung für Anouk... Weder in Bezug auf ihre Beziehung zu Liam, noch zu Alexej, noch zu ihrem Beruf. Die Arme tut mir sehr leid!! Andererseits frage ich mich, ob Liam wirklich geglaubt hat, dass Anouk wochenlang rumsitz und wartet, dass er sich endlich mal wieder meldet? Merkt er nicht, dass man mehr für eine Beziehung tun muss, als nur ab und an mal vorbeizuschneien und stets Besserung zu geloben, dann aber doch nichts zu tun? Das soll Anouks Verhalten keineswegs entschuldigen, denn das ist es nun wirklich nicht. Die beiden sitzen ziemlich in der Klemme und ich bin sehr gespannt, wie du sie wieder daraus navigierst! Ich bin auf die Fortsetzung schon sehr gespannt!
~*Niemand nimmt mir meine Träume und schließt meine Sehnsucht ein, wo es Liebe gab und Freiheit wird mein Herz für immer sein*~

Benutzeravatar
armandine
Musical-Expert
Musical-Expert
Beiträge: 3209
Registriert: 17.10.2007, 01:07:09

Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon armandine » 10.11.2014, 16:09:34

uh, spannend! Ich stimme Gaefa zu, ein bisschen hat auch Liam Schuld, wenn sie sich nicht so vernachlässigt gefühlt hätte, wäre es vielleicht nicht passiert. Mir scheint, sowohl mit Alexej als auch mit Liam ist eine Aussprache fällig. Wegrennen hilft nicht, und außerdem muss sie ja wieder spielen. Im übrigen würde ich mir wegen der Kollegen keine Sorgen machen, wer länger am Theater ist, hat meiner Erfahrung nach gelernt, solche Dinge bei Kollegen nicht weiter zu beachten.


Zurück zu „Fanfiction / Geschichten / Texte“

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 14 Gäste

cron