Mich trägt mein Traum

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Ophelia
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 08.03.2015, 13:53:37

So, jetzt habe ich euch aber lange warten lassen! Ja, das mit der Probenzeit wusste ich erst nicht, ich hab mir das so ausgedacht, dass man für ein Musical in etwa so lange braucht, aber kurz drauf hab ich auch gelesen, dass das Ganze viel, viel schneller wird! Trotzdem werde ich es wohl dabei belassen... Aber danke, dass ihr mich korrigiert habt!

Ich sah Liam schon im ersten Akt. Er saß in der fünften Reihe am Rand und reckte mir mit einem riesigen Grinsen den Daumen entgegen, als ich an ihm vorbei und zurück in den Backstage-Bereich lief. Dass er mir nicht gesagt hatte, dass er kommen würde, ließ schon erahnen, dass etwas wichtiges passiert war. Sein Grinsen jedenfalls sagte das ausdrücklich. In der Pause wurde ich ganz kribbelig, ich wagte sogar den verbotenen Blick aufs Handy. Aber er hatte mir nichts geschrieben, und so blieb mir nichts anderes übrig, als weiter zu spielen und mir böse Blicke ins dunkle Publikum zu verkneifen. Nach der Show aber konnte mich nichts mehr davon abhalten, so schnell wie möglich ins Foyer zu laufen und ihn dort ausfindig zu machen. Wir war nämlich eingefallen, wie immer natürlich mitten in der Show, dass das Ergebnis seiner Miss Saigon-Audition schon mehr als überfällig war. Und sein Grinsen konnte ja nur bedeuten… Ich schlich mich unauffällig durch die Besucher, die heute zum Glück genügsam waren und größtenteils schon an der Garderobe anstanden. Liam aber wartete an der kleinen Bar und stand, kaum dass er mich sah, auf und küsste mich so leidenschaftlich wie schon lange nicht mehr.
„Hallo“, sagte ich ein wenig verdutzt und nahm das Cocktailglas entgegen, das er mir hinhielt. „Los, raus damit“, sagte ich. „Was ist los?“ Seine gute Laune steckte mich an, aber ein Rest Angst blieb. „Du hast eine Audition gewonnen?“
Er nickte stolz, und ich musste mich bemühen, nicht in Tränen auszubrechen.
Miss Saigon, stimmt’s? Liam, das ist… große Klasse, auf jeden Fall!“
Er runzelte die Stirn. „Nein, eigentlich geht es um Jekyll&Hyde“, korrigierte er. Ich starrte ihn ungläubig an. „Die Audition, die wir letztens noch zusammen rausgesucht haben? Aber – du bist doch nicht etwa –“
Er nickte und grinste wieder vom einen Ohr zum anderen. Ich konnte mir ein aufgeregtes und zugegebenermaßen ziemlich mädchenhaftes Quieken nicht verkneifen.
„Jekyll und Hyde!“ Ich fiel ihm um den Hals. „Ich fasse es nicht. – Moment, wo war das noch mal?“
„Filderstadt“, antwortete er. Ich runzelte die Stirn.
„Wir haben aber auch kein Glück, was? – Aber besser als London. Ich will ja nicht beleidigend sein, aber ich bin wirklich froh, dass sie dich nicht genommen haben.“
„Na ja.“ Er schob die Hände in die Hosentaschen. „Genommen haben sie mich schon.“
Ich sah ihn fragend an.
„Schon vor der Audition für Jekyll und Hyde.“
Ich war irritiert. „Und du hast abgesagt?“
Er nickte. „Ja. Ich hab mich für Jekyll echt ins Zeug gelegt.“
„Liam!“, sagte ich vorwurfsvoll. „Das war aber ziemlich wagemutig von dir! Miss Saigon einfach abzusagen, für den Fall, du würdest Jekyll werden. Was, wenn du nun nicht im Ensemble wärst?“
„Nun“, sagte er gedehnt, „ehrlich gesagt habe ich Miss Saigon nicht für Jekyll abgesagt.“ Er trat näher und legte die Arme um mich. „Ich dachte, du findest London eigentlich viel zu weit, oder?“
Ich brachte erst einmal kein Wort heraus. Bestimmt eine Minute lang stand ich da, starrte gegen den Kragen seines karierten Hemdes und hörte den Zahnrädern zu, die sich laut klappernd in meinem Kopf drehten und langsam alles zusammenfügten. Und sich dabei rosarot färbten.
„Du… hast Miss Saigon abgesagt… für… mich?“
„Für uns“, korrigierte er, immer noch bemerkenswert ruhig. „Ich vermisse dich sowieso schon oft genug“, sagte er leiser, „also wäre London vermutlich keine gute Idee gewesen.“
In diesem Moment kam mir eine irre Frage, so plötzlich, dass ich davor erschrak und nicht wusste, was ich davon halten sollte: ob Liam mich wohl irgendwann mal fragen würde, ob ich ihn heiraten sollte? Ich musste kichern. Er schob mich von sich.
„Was ist los?“
„Ach, nichts.“ Ich biss mir auf die Lippe. „Das war wirklich… nett von dir. – Einmalig nett sogar, sehr… toll.“ Es war mir peinlich, aber ich fand nicht die richtigen Worte. Die, die meine Rührung ausdrückten und gleichzeitig nicht zu platt klangen. Also legte ich einfach die Arme um ihn und küsste ihn noch einmal.
„Aber – Liam, London! Deine Heimatstadt! Das West End!“ Irgendein seltsamer Zwang befiel mich; ich konnte gar nicht anders, als ihm seine Entscheidung quasi vorzuwerfen, obwohl ich sie doch guthieß.
„Weil es meine Heimatstadt ist, kann ich jederzeit hin“, widersprach er und gab mir mein Cocktailglas, das ich auf dem Tresen abgestellt hatte. „Na los. Ich bin mit dem Auto da, ich bin gerast wie der Teufel, um noch rechtzeitig reinzukommen. Und die Eintrittspreise werden auch nicht billiger! Du warst übrigens sehr, sehr gut heute Abend!“

Wie erwartet ging meine letzte Zeit bei den Vampiren schnell vorbei. Ich verbrachte die Vormittage damit, meine Texte zu lernen, und oft nutzte ich die Zeit, um Linda gleichzeitig einige Stücke aus Elisabeth nahe zu bringen. Sie blätterte geradezu ehrfürchtig durch mein Textbuch und war gleichzeitig ziemlich traurig darüber, dass ich schon so bald verschwinden würde.
„Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet“, seufzte sie. „Was soll ich nur ohne dich machen, Anouk?“
„Bald sehen wir uns ja wieder“, tröstete ich sie. Mitte Dezember war sie zu einem Vorsingen an der Folkwang in Essen, und ich hatte ihr versprochen, sie zu begleiten.
„Trotzdem“, murrte sie. „So gut wie du wird mich niemand unterrichten können!“
„Ich lade dich zur Premiere ein!“, versprach ich. „Halt dir also schon mal den neunten April frei.“
„Mache ich! Wirklich!“ Sie hatte schon jetzt Tränen in den Augen, und ich ahnte, dass diese Trennung keine leichte werden würde.
„Du schaffst das schon!“, munterte ich sie auf. „Du bist wirklich gut! Und wer kann schon behaupten, schon mal bei den Vampiren gespielt zu haben, als Magda – ohne Ausbildung?“
Sie lächelte. „Stimmt. Das wird vermutlich ein großer Vorteil sein.“
Am nächsten Tag wurde die gesamte Cast auf der Elisabeth-Homepage öffentlich gemacht. Noch im Bett war es das erste, was ich am Morgen machte: die Seite checken. Da stand es, schwarz auf gold-braunem Hintergrund:

Elisabeth, Kaiserin von Österreich: Anouk Steger

Ich machte einen Screenshot und verschickte ihn mit einem Jubelsmiley an sämtliche Freunde. Anschließend las ich mir noch die Biografie durch, die neben einem ziemlich veralteten Foto von mir stand: Anouk Steger, 23, absolvierte ihre Ausbildung an der Music&Art Academy in Hannover. Schon während der Schulzeit wirkte sie als Ich im Musical Rebecca für knapp zwei Monate mit; nach erfolgreichem Abschluss folgten Engagements in Sweeney Todd (Johanna) und Marilyn (Norma). Anschließend trat sie im großen Comeback von Tanz der Vampire (bis Mai im Theater des Westens) mit und wechselte ein halbes Jahr später vom Ensemble/ Cover Sarah in die Hauptrolle (Sarah). Elisabeth ist ihr viertes und größtes Engagements.
Der letzte Satz klang zwischen den Zeilen ein wenig besitzergreifend, aber ich sah gnädig darüber hinweg und beschloss seufzend, mich weiter mit der Wohnungssuche zu beschäftigen. Schließlich wollte ich, bei aller Liebe, nicht bei meiner Mutter wohnen!

P.S.: Die anderen Darsteller werden bald auch bekanntgegeben, mir fallen grad nicht genügend Namen ein...
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 08.03.2015, 18:13:46

Schön, dass es weitergeht :)
Ich bin schon sehr auf Elisabeth und die anderen Ensemblemitglieder gespannt.
Liams Karriere läuft mir ehrlich gesagt zu steil. Ich meine, dass Anouk mit 23 die Elisabeth spielt ist auch schon krass, aber Liam mit vermutlich ebenfalls Mitte 20 sowohl das Phantom als auch J&H? Sorry, das sind beides Rollen, die eigentlich ältere Besetzungen verlangen (okay, Christian Müller war auch mit 25 Phantom und da will ich garantiert nichts gegen sagen, aber trotzdem... ungewöhnlich). Bitte bald weiter!
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon bogi-2000 » 08.03.2015, 20:40:29

Sehr schön,daß es weiter geht. Auch wenn ich nicht nach jedem neuen Kapitel schreibe, lese ich jedes mit Begeisterung. Freue mich jetzt schon wieder auf den nächsten Teil. Bitte bald weiter. ;-)

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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon armandine » 27.03.2015, 15:44:12

Hey, da habe ich glatt den Kommentar vergessen. Ich bin auch schon sehr gespannt auf die Fortsetzung!
Kleiner Tipp: lies mal den Text der Vita von Annouk nochmal durch, da haben sich ein paar Fehler eingeschlichen.

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Ophelia
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 15.07.2015, 19:46:09

Nach beschämend langer Zeit endlich ein neuer Teil. Ich hoffe ich habe nicht allzu viele Leser verloren :lala:

Die Derniere bei den Vampiren war trotz meines Stolzes ein schwerer Tag für mich. Ich versuchte, den Tag ruhig anzugehen, ich ging gewöhnlichen Dingen nach wie Einkaufen, Telefonieren, Aufräumen und noch ein wenig Lernen. Zum Theater fuhr ich früher, beladen mit Schuhkartons, in die ich vor der Show schon einmal meine persönlichen Dinge packte: Fotorahmen, ausgeschnittene Berichte, unbeschriebene Autogrammkarten, Premieren- und Fangeschenke… mit jedem Ding, das in den Kartons verschwand, wurde mir ein wenig schwerer ums Herz, aber als ich es geschafft und alles beisammen hatte und die Garderobe wieder leer und unpersönlich wirkte, war ich doch ein wenig erleichtert. Die plötzliche Nüchternheit nahm dem Raum die Vertrautheit und machte es mir nicht mehr so schwer, diesen Abschnitt meiner Karriere hinter mich zu bringen. So sehr ich dieses Engagement genoss, so merkte ich doch plötzlich, dass es Zeit wurde, dass ich es ein wenig überhatte, jeden Abend Blut von der Haut zu schrubben und leere Kapseln aus dem Kleid zu fischen, bei der Einladung von oben beregnet zu werden und die Zähne in den Mund zu klemmen, so wie man es irgendwann überhat, immer wieder die gleiche CD zu hören und den gleichen Film zu sehen – möge er noch so schön sein. Meine neue Rolle, die bevorstehenden Proben erfüllten mich mit Stolz, Unglauben und Kampfgeist, und der gestrige Bescheid über meine gesicherte, neue Wohnung in Düsseldorf gab mir zusätzliche Sicherheit. Ich war guter Dinge, als ich zum letzten Mal mich umzog und Perücken aufsetzte. Alexej lächelte mir zurückhaltend zu, als ich mich vor der Show bereit machte.
„Bist du sehr aufgeregt?“
„Ich will versuchen, alles zu geben. Aber ich bin auch irgendwie… froh.“
Er nickte. „Es sind viele Fans da.“ Er zögerte kurz, ehe er sagte: „Aber, du bist froh… nicht wegen der Sache mit uns, oder?“
Ich spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoss. „Aber nein!“, sagte ich eine Spur zu ärgerlich. Ich räusperte mich. „Nein“, wiederholte ich ruhiger. „Ich bin froh, weil ich eine neue Rolle habe, auf die ich mich sehr freue.“
Er nickte erneut. „Ich werde kommen“, versprach er, „vielleicht nicht zur Premiere, aber… Ich werde es mir ansehen.“
„Das ist lieb von dir.“ Ich versuchte, durch den Vorhang unbemerkt auf die Zuschauer zu sehen, aber natürlich ging das nicht – die Leinwand mit dem Vampirgebiss versperrte mir die Sicht. Nun wurde ich tatsächlich etwas nostalgisch – als die Overture anfing, schloss ich die Augen und versuchte nicht, mir immer wieder einzureden: das letzte Mal, das letzte Mal…Ich versuchte einfach, die Show zu genießen, wann immer ich auf der Bühne war. Es gab, zu meiner Erleichterung, keine Dernierenscherze, nur in der Tanzsaal-Szene brachte Herbert, nachdem er aus dem Off kam, einen Strauß Rosen, die über den Grafen ihren Weg in meine Arme fanden. Sie fielen trotzdem auf den Boden, als ich gebissen wurde, und Herbert hob sie auf und spielte die ganze Zeit damit herum und verteilte sie irgendwann galant an die erste Reihe. Nur eine behielt ich für mich, ich schob sie in den Strauss, den ich geschenkt bekam.
Nach der Derniere blieben wir noch eine Weile in der Theaterbar, plauderten über neue und alte Engagements, wünschten uns Glück und tauschten Konzert- und Showtermine aus. Es war zwar beinahe unmöglich, in einer Spielzeit entstandene Freundschaften lange zu pflegen, aber ich hoffte trotzdem inständig, den ein oder anderen einmal wiederzusehen.

Mein Umzug fand an einem eisig kalten Novembertag statt. Der Himmel hing voller bauschiger Wolken, und es fühlte sich an, als würde es bald schneien. Linda und ihre Familie begleiteten mich bis zur Haustüre, während meine Mutter, die extra aus Umzugsgründen angereist war, mit Lindas Vater mein Gebäck im Kofferraum und auf den Rücksitzen verstaute. Natürlich flossen bei Linda die Tränen, und ich konnte nicht anders, als mich von ihr anstecken zu lassen.
„Das solltest du dir abgewöhnen“, schniefte ich und lachte über uns beide, wie wir da auf der Straße standen, beide in Tränen. „Abschiede gehören bald zu deinem Job.“
„Noch ist nichts entschieden“, erwiderte sie matt. Ich schloss sie noch einmal in die Arme.
„Noch drei Wochen, dann ist das Vorsingen. Bitte versprich mir, dass du genug lernst!“
Eigentlich müsste ich mir darum keine Sorgen machen, in dieser Beziehung war Linda mehr als Pflichtbewusst – aber ich war fast so aufgeregt wie sie.
„Mache ich!“, versprach sie aus vollem Herzen, und nach vielem weiteren Hin und Her, Drücken und Weinen und Lachen saß ich endlich neben meiner Mutter im Auto. Ich drehte mich um und winkte durch eine Lücke meines Gepäcks durch das Rückfenster, bis Lindas Familie und die schäbige Straße hinter einer Kurve verschwanden.
Wir ließen uns Zeit auf der Rückfahrt. Ich verbrachte die meiste Zeit damit, meine neuen Texte zu lernen und mir Gedanken über Interpretation und Darstellung zu machen oder die vielen Abschiedgeschenke und –briefe anzusehen. Mir graute bereits davor, meine neue Wohnung einzurichten – eine winzige Dachgeschosswohnung mit schrägen Wänden, unter die kaum eines meiner Regale passen würde. Aber sie war billig und für ein vorübergehenden Engagement wie gemacht.
In dieser Nacht blieb ich bei meiner Mutter, in meinem alten Zimmer, das nun zu einem Gästezimmer umfunktioniert war. Aber ich konnte nicht schlafen; die wieder „neue“ Umgebung und die Aufregung vor dem Umzug und meinem neuen Engagement hielten meine Gedanken auf Trab, und schließlich setzte ich mich auf, griff nach der Elisabeth-Biographie und las bis tief in die Nacht. Ich hatte nie wirklich Angst vor einer Rolle gehabt, aber diese jagte mir gehörigen Respekt ein. Die Vorstellung, den Ansprüchen und Erwartungen des Publikums nicht gerecht werden zu können, bereitete mir plötzlich Magenschmerzen…
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon bogi-2000 » 17.07.2015, 23:19:00

Juhu, endlich ein neuer Teil. Habe fast täglich geschaut, ob es bei der Geschichte weiter geht und jetzt ist es soweit. Mich hast du als Leser jedenfalls nicht verloren. Freue mich schon auf den nächsten Teil. Wie immer toll geschrieben!!! Bitte bald mehr davon!

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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 21.07.2015, 12:31:26

Ein schöner neuer Teil. Entschuldige, dass der Kommentar erst jetzt kommt, aber früher hab ichs nicht geschafft zu lesen. War das eigentlich auch die allgemeine Derniere oder nur Anouks? Es ist irgendwie schon so lange her... Ich bin sehr gespannt, wie es in Düsseldorf weitergeht. Übrigens hast du einmal Gebäck statt Gepäck geschrieben, das liest sich an der Stelle sehr lustig.
Bitte lass uns auf den nächsten Teil nicht so lange warten!
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon armandine » 22.07.2015, 22:13:46

Wie schön, ein neuer Teil! Und er ist sehr realistisch und gefällt mir prima! Ich freue mich auf mehr!

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Ophelia
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 12.10.2015, 12:37:41

Es war nur Anouks Derniere...
Und nun geht es weiter!

Zur Einstimmung für den Probenbeginn erhielt ich eine Einladung zu einem „Elisabeth-Frühstück“: zum Austausch und Kennenlernen in einer lockeren Runde und gemütlichen Atmosphäre. So etwas hatte ich bisher noch nicht erlebt; sonst hatten wir uns vor den Proben mal kurz getroffen, wurden durch Probenpläne und diverse Termine eingestimmt. Die Einladung erreichte mich einen Tag nach meinem Umzug. Ich freute mich auf das Frühstück, war aber auch sehr aufgeregt. Einige meiner zukünftigen Kollegen kannte ich von früheren, kurzen Begegnungen, zum Beispiel Nicolas Damm, den ich mal auf einer Premiere getroffen hatte, oder den ein oder anderen Namen aus dem Ensemble. Der Rest der Cast war mir relativ unbekannt, und ich freute mich, dass wir alle noch nicht lange im Geschäft waren und so niemand über dem anderen stehen konnte.
Wir trafen uns um 9.30 an einem Dienstagmorgen im Mehrzwecksaal eines kleinen Cafés; die Tische waren aneinandergereiht, sodass sie ein geschlossenes Rechteck ergaben, und ein bisschen fühlte es sich an wie in einem Konferenzzimmer. Aber die weißen Tischtücher, die Blumenvasen und das bereits angerichtete Buffett lockerten die Atmosphäre deutlich auf. Auf einem der Tische lehnte an einer Vase ein einlaminiertes Blatt Papier, auf dem zu meiner Erleichterung eine Castliste geschrieben stand. Ich war eine der ersten und las mir die Liste durch.
Elisabeth – Anouk Steger
Der Tod – Julian Kuhn
Luigi Lucheni – Elisas Levi
Franz Joseph – Maximilian Wagner
Erzherzogin Sophie – Helene Hofer
Herzogin Ludovika/ Frau Wolf – Jasmin Roth
Kronprinz Rudolf – Karl Gabor
Herzog Max in Bayern – Nicolas Damm


Ich legte die Liste zurück, als ich das erste Stimmengewirr vernahm; kurz darauf lugten die nächsten Gesichter zur Türe hinein. Immer, wenn sie geöffnet wurde, drang das leise Gemurmel und das Geschirrklappern der Cafégäste in den stillen Saal, der sich langsam mit Leben füllte. Ich versuchte zu erraten, wer hier wer war – der junge Mann dort mit den dunklen Haaren und dem legeren Anzug würde dem Rollenprofil des Lucheni sehr gerecht werden, und Helene Hofer erkannte ich an ihrem Alter und an der markanten Stimme. Mit Nicolas Damm kam ich glücklicherweise schnell in ein Gespräch, und bald bildeten sich kleine Grüppchen und erste Gespräche begannen, sich um die eigene Person, bisherige Erfahrungen zu drehen. Der Mann, den ich als Lucheni vermutet hatte, war tatsächlich Elias Levi, mit seinen siebenundzwanzig Jahren zwar spät, aber gerade frisch vom Konservatorium Wien, hatte einen offenen Charakter und herrlichen Humor. Julian Kuhn war von eher zurückhaltender Art und hatte bisher nur als Zweitbesetzungen agieren können; ich hoffte, dass seine Ruhe auch in seine Rolle fließen und wir zur Abwechslung mal wieder einen mysteriösen, undurchdringlichen statt aggressiven Tod erleben würden. Für einen Moment fühlte ich mich als Außenstehende, wie ich so über mögliche Rollenauslegungen nachdachte, und erst, als Maximilian mich fragte, ob ich mit der Rolle gerechnet hätte, stand ich wieder im Hier und Jetzt und spürte, wie mein Magen schon wieder vor Aufregung kribbelte.
„Vielleicht mit einer Ensemblerolle“, antwortete ich, „niemals mit der Hauptrolle!“
„Ich glaube, wir sind alle etwas erstaunt“, erwiderte er. „Immerhin sind viele von uns noch sehr neu im Geschäft.“
„Eine kluge Entscheidung“, entgegnete Nicolas. „Immerhin locken sie mit neuen Gesichtern und können sicher sein, dass wir mehr als engagiert sind!“
„Auf die Proben bin ich sehr gespannt!“, sagte jemand. „Wir haben ja eine sehr lange Zeit vor uns…“
„Wer weiß, ob sie etwas schwerwiegendes ändern wollen. Mich würde es nicht stören, die letzte Tour…“ Wir verstrickten uns in eine Diskussionen über frühere Inszenierungen, bis zum Frühstückstisch gebeten wurde. Während wir mit Kaffeekannen und Brotkörben jonglierten, hießen uns die Kreativen willkommen und stellten dieses und jenes vor, wichtige, schon feststehende Termine, Ausfälle, Probenräume… Als ich am Mittag wieder in meiner halb eingeräumten Bude ankam, schwirrte mir der Kopf vor lauter Neuigkeiten und Eindrücken. Ich war voll neuer Zuversicht, dass wir eine tolle Produktion schaffen würden; jeder hatte schon eine Mappe voller Informationen bekommen, wichtige vertragliche Regeln, erste Probentermine, wichtige andere Termine wie Pressefotos, kleine Auftritte, Interviews… Eine Sache, die wieder neu noch originell war, mich aber trotzdem freute, war die Wochenendreise nach Wien, wo wir Schloss Schönbrunn und die Hofburg besuchen sowie einige Fotos machen würden – alles allerdings erst einige Wochen vor der Premiere.
Ich trug all meine Termine in den Kalender ein und sah mit Erleichterung, dass ich Linda zu ihrem ersten Vorsingen würde begleiten können. Um irgendetwas zu tun, räumte ich meine restlichen Kartons aus, kochte mir etwas zu essen und stellte es dann doch nur in den Kühlschrank, weil ich eben erst gefrühstückt hatte. Ich war von einer seltsamen Unruhe, weil die Proben offiziell schon begonnen, ich aber trotzdem noch nichts zu tun hatte. Also setzte ich mich mit einer Tasse Tee ins Wohnzimmer und las mir die mitgegebenen Papiere so detailliert durch, dass ich meine Aufregung darüber völlig vergaß und bereits in Tagträumen schwelgte, in denen ich majestätisch im weißen Kleid über die Bühne spazierte...
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon bogi-2000 » 12.10.2015, 14:54:29

Schön das es nach so langer Zeit einen neuen Teil gibt. Hoffe, es geht bald weiter. Bin schon sehr gespannt.
Danke!!

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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 12.10.2015, 20:19:44

Es geht weiter - wie schön! Das klingt doch nach einem netten Start für Anouk. Ich hoffe, wir bekommen bald zu lesen, wie es weitergeht!
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon armandine » 19.10.2015, 15:55:18

Super, es geht weiter! Ich freue mich auf mehr "Elisabeth"!

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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 19.10.2015, 17:54:06

Schön dass es euch gefällt! Eine kurze Unterbrechung von Elisabeth, heute geht's zum Vorsingen! Viel Spaß :)

Lindas erstes Vorsingen fand, was praktischer nicht sein konnte, in Essen statt. Sie bewarb sich für den Bachelor of Arts, für den jährlich sechs Schüler aufgenommen wurden. Die Chancen waren, wie ich feststellte, verschwindend gering. Ich las mich auf der Homepage ein, um zu wissen, was es vorzubereiten galt: zwei „kontrastierende“ Songs, davon mindestens einer in Deutsch und vorzugsweise aus dem Musicalbereich sowie ein Tanz-Gruppentraining in klassischem, modernem und Jazz-Tanz. Das war nur die erste Vorauswahl.
Am selben Tag, in der Zwischenprüfung, erwartete man eine Wiederholung der Songs sowie das Vorspielen zweier Rollen, davon eine klassisch. Ich hatte keine Ahnung, wofür Linda sich entschieden hatte. Ich wusste überhaupt nicht, wie gut sie im Schauspiel war, in welchen Bereichen sie sich auskannte. Ich bemerkte, dass ich nicht mal selbst eine klassische Rolle hätte vorschlagen können, die zu ihr passte.
Ich war vermutlich die schlechteste Mentorin der Welt. Und ich war um Meilen aufgeregter als sie selbst, als ich sie am Bahnhof abholte und sie noch im Bus mit Fragen überhäufte.
„Linda, ich habe das Gefühl, dass ich dich vernachlässigt habe!“
„Unsinn, wieso denn?“
„Na ja, ich weiß ja schließlich von nichts, welche Rollen du zum Beispiel vorspielst, welche Songs du singst, haben wir überhaupt genug gelernt? Bei wem hast du gelernt?“
„Es ist alles in Ordnung, Anouk“, beruhigte sie mich – sie mich – „ich habe gearbeitet und Gesangsstunden genommen. Ich habe sogar getanzt. Jazz.“
„Okay, okay.“ Sie war nicht genug vorbereitet. Ich stellte mir schon die ganzen anderen jungen Bewerber vor, drahtige Ballerinas, Operndiven, Schauspielphänomene!
„Das mit den Rollen war schon etwas schwierig“, gab sie zu, „aber ich habe mich informiert und schlau gemacht. Ich spreche Salomé und Gebrüllt vor Lachen. Ich kann sie dir vorspielen.“
„Und welche Songs?“
Lass mich dich nicht lieben aus Dracula, und I have confidence aus Sound of Music.“
„Wenn das nicht kontrastierend ich“, murmelte ich.
„Und zur Vorsicht noch Tot zu sein ist komisch“, lächelte sie. Ich sah sie von der Seite an.
„Irgendwie wirkst du mir zu entspannt“, sagte ich. Sie lachte.
„Ja, irgendwie… bin ich das auch. Noch“, fügte sie hinzu.

Lindas „noch“ war nicht gelogen: als ich am nächsten Morgen von meinem Wecker aus dem Schlaf gerissen wurde, hörte ich ihre Stimme schon aus einiger Ferne; sie schien sich im Badezimmer einzusingen, das Zimmer, das am weitesten von meinem Schlafzimmer entfernt war. Die Couch, auf der sie übernachtet hatte, war aufgeräumt, die Decken zusammengelegt und die Kissen aufgeschüttelt. Ihr Frühstücksgeschirr steckte in der Spülmaschine, der Tisch war nur für mich gedeckt. Auf der anderen Tischseite standen eine gepackte Tasche, ein Paar weißer Riemchenschuhe und eine rote Mappe. Ich setzte mich hin und aß eine Kleinigkeit, bis Linda aus dem Bad kam. Sie trug eine elegante Bluse und eine schwarze Hose und hatte ihr schwarzes Haar zurückgesteckt.
„Du siehst toll aus!“, sagte ich.
„Ich fühle mich schrecklich!“, erwiderte sie und ließ sich auf den Stuhl neben mir fallen. „Ich bin schon seit einer Ewigkeit wach.“
„Hast du wenigstens genug gegessen?“
„Hm“, machte sie nur. Ich packte ihr einen Apfel und ein Croissant in eine Brotdose und legte sie neben ihre Tasche. „Hast du alles eingesteckt?“
„Meine Notenblätter, Liedtexte, Monologtexte, ein Kostüm für Salomé, Sportsachen, viel zu trinken… etwas zu Essen jetzt auch… Playback, falls der Pianist krank ist…“
Ich lachte. „Okay, du hast an alles gedacht. – Ich mache mich jetzt flugs fertig, und dann sind wir auch schon auf dem Weg, in Ordnung?“
„Ja“, hauchte sie.

Ich wusste nicht, ob ich etwas aufregendes verpasst hatte oder etwas schrecklichem entronnen war. Zuerst hatte ich auf die erste Version getippt, aber als das Warten auf die nächste Runde begann, wurde ich immer dankbarer, dass mir dieses Vorsprechen erspart gewesen war: damals hätte ich wohl kaum die Nerven gehabt, an einer Schule wie dieser Vorzusingen. Gleichermaßen kam mir mein Stipendium irgendwie unfair vor – als hätte ich geschummelt und grinste nun allen frech ins Gesicht: ihr lieben Kleinen, viel Erfolg – kämpfen musste ich nicht. – Aber nein, das stimmte nicht ganz – der eigentliche Kampf begann schließlich erst so richtig auf der Schule und gipfelte im eigentlichen Berufsleben zu einem ständigen Ringen mit Konkurrenten.
Jetzt warteten wir nach der ersten Runde auf den Aushang, der verkünden würde, welche Nummern es in die nächste Runde geschafft hatten. Linda saß stumm neben mir und hatte ihr Nummernzettelchen schon so oft zwischen den Fingern gerieben, dass es ganz knittrig an ihrem Kragen hing. Als ich sie gefragt hatte, wie es war, hatte sie mit den Schultern gezuckt. „Die Songs waren gut, glaube ich. Niemand hat etwas dazu gesagt. Das Tanztraining war schrecklich, im klassischen Tanz bin ich gar nicht richtig mitgekommen.“
Als es soweit war, brachen schon die ersten in Tränen oder böses Fluchen aus, bis ich Lindas Gesicht in der Masse ausmachen konnte. Sie reckte den Daumen nach oben, und ich strahlte zurück. Es blieb kaum Zeit, sich ein wenig auszuruhen; schon fünfundvierzig Minuten später ging es in die nächste Runde. Wir gingen in aller Eile die Monologe durch, aber ich wagte kaum, ihr Tipps zu geben aus Angst, sie könnten sie verwirren oder verunsichern.
Ich zwang mich, nicht auf Linda zu warten, sondern verließ mit dem enttäuschten Rest Jugendlicher das Gebäude und setzte mich in ein Café. Ich telefonierte mit Liam und hörte nach, wie es bei den Proben lief, aber er sagte, es sei nicht so toll wie er es sich erhofft hatte und dass es irgendwelche rechtlichen Verstrickungen gab, die übersehen worden waren. Meine Stimmung wurde etwas gedämpft, und als ich zurück zu Linda ging, lehnte sie schon an der Mauer des Gebäudes und hielt das Gesicht in die Sonne, die Augen geschlossen. Ich tippte sie vorsichtig an.
„Linda?“
Sie schlug die Augen auf und lächelte. „Ja?“
„Was… was ist nun? Ist die Runde um?“
„Ja.“ Sie atmete tief ein. „Aber ich hab’s nicht geschafft.“
„Wirklich? Oh nein… Hat jemand gesagt, warum?“
„Das Spiel hat ihnen gefallen, und der Gesang auch, denke ich. Es war bestimmt der Tanz.“
„Das tut mir so leid!“
Sie zuckte mit den Schultern. „Ich habe nicht damit gerechnet, bei der ersten Schule genommen zu werden. Das ist doch eher unüblich, oder?“ Schwungvoll stieß sie sich von der Mauer ab. „Komm, ich brauche jetzt dringend einen langen Spaziergang.“
Ich hakte mich bei ihr unter, und wir gingen gemeinsam durch die späte Nachmittagssonne, und niemand verlor mehr ein Wort über diese erste Niederlage.
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 20.10.2015, 11:09:06

Ein schöner Teil. Wie immer toll geschrieben und es ist auch sehr realistisch, dass mal Niederlagen auftreten, wenn auch traurig.
Bitte bald weiter!
~*Niemand nimmt mir meine Träume und schließt meine Sehnsucht ein, wo es Liebe gab und Freiheit wird mein Herz für immer sein*~

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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon bogi-2000 » 21.10.2015, 19:13:18

Uj, so schnell ein neues Kapitel. Super :dance:
Wie immer toll geschrieben. Freu mich schon auf den nächsten Teil. Danke!!!

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armandine
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon armandine » 01.11.2015, 20:46:06

Schönes neues Kapitel! Und ziemlich realistisch, finde ich. Drücken wir Linda die Daumen für eine andere Uni.

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Ophelia
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 01.11.2015, 21:14:44

Danke für die positiven Rückmeldungen.
Hier der neue Teil

Ich empfand Probenbeginne immer als sehr anstrengend: es gab keinen Rahmen, den man sich aufgebaut hatte, der ganze gewaltige Berg an Inszenierung, Choreographie und Gesangsproben lag noch vor einem, man war sich unbekannt, man wusste von nichts. Irgendwann kam alles in Gang, ohne dass man es richtig bemerkte, und so war es auch diesmal – nach ein paar Tagen war es wieder das normalste der Welt, dass ich mich morgens aufmachte zur Probebühne und zwischen Gerüsten, Kleiderstangen und nur vom Pianisten begleitet in hässlichen Probenröcken immer und immer wieder Wege ablief, Strophen wiederholte, meine Rolle kreierte. In den kurzen Pausen, die ich hatte, las ich in einer Biographie, die glücklicherweise sehr angenehm zu lesen war, und fand einige Dinge über Elisabeth heraus, von denen ich nicht wusste, ob ich über sie lachen oder sie dafür verurteilen sollte: dass sie in späteren Jahren stets eine eigene Kuh auf Reisen nahm, weil ihr ihre Milch am besten schmeckte, und manchmal auch jemandem eine weitere abkaufte, die ihr gefiel, war noch harmlos. In ihren Gedichten verspottete sie ihre eigene Tochter als „Trampeltier“, verkuppelte ihren Mann mit einer Schauspielerin, damit er sie nicht mit Avancen attackierte, sprach in spiritistischen Sitzungen mit Heinrich Heine und kümmerte sich ansonsten um nichts außer sich selbst. Manchmal war sie mir regelrecht unsympathisch, und dadurch stellte ich mehrere Male meine bisherige Interpretation der Rolle infrage. Nebenher kam ständig jemand von der PR-Abteilung, platzte in die Probe und schoss ein Foto von uns, um sie online zu stellen und ordentlich die Werbetrommel zu rühren. Bei den Massen von Fankommentaren, die sich im Internet sammelten, wurde mir mehr als einmal ganz mulmig zumute. Dass mein Name bedeutend selten genutzt wurde und viel öfter nach Douwes, van Dam und Valentini geschrien wurde, machte es mir nicht leichter. Zum Glück war ich zumindest in dieser Sache nicht allein: Julian versuchte redlich, sich nicht von der großen Tod-Diskussion beeindrucken zu lassen und sagte immer wieder tapfer: „Interessiere dich erst nach der Vorstellung für Kritiken. Vorher sind sie harmlos und unbegründet.“ Wie Recht er hatte!
Mit Linda stand ich in regem Kontakt, sie hatte gerade ihr zweites Vorsprechen gehabt, diesmal in Hamburg – dort hatte sie es nicht mal bis in die zweite Runde geschafft! Und diesmal war sie viel niedergeschlagener als beim ersten Mal. Ich versuchte sie zu beruhigen, aber natürlich begann sie an ihrem Vorhaben zu zweifeln. Zu dumm, dass ich keine freie Minute hatte, um ihr zu helfen! Aber Elisabeth ging natürlich vor.
Allerdings war Linda nicht meine größte Sorge: mein letztes Telefonat mit Liam war mehr als besorgniserregend gewesen. Schon bei früheren Gesprächen hatte er immer wieder Probleme erwähnt – erst ging es um allgemeine vertragliche Schwierigkeiten, die es aber angeblich zu lösen gelang. Trotzdem wurden mehrere Darsteller skeptisch, nachdem immer mehr der Mitwirkenden sich über mangelnde Verdienste beschwerten. Vor zwei Tagen hatte ich vier verpasste Anrufe auf meinem Handy, alle von ihm, und als ich ihn zurückrief, ging er sofort nach dem zweiten Klingeln ran.
„Hallo Anouk“, begrüßte er mich. Er klang erleichtert und angespannt zugleich. Und noch ehe ich etwas fragen konnte, sprudelte es auch schon aus ihm heraus – in abgehackten Sätzen, die seine Wut verrieten. „Hier geht alles drunter und drüber!“, sagte er mit unterdrückter Stimme – ich nahm an, dass Telefonate dieser Art nicht gern gesehen waren. „Es war die Rede davon, dass dem Veranstalter Geld fehlt, und seit ein paar Stunden ist von Insolvenz die Rede!“ Er machte eine kurze Pause, in der ich gar nichts sagen konnte. „Wir haben die Proben unterbrochen, alle sind stinksauer. „Natürlich nicht offiziell, aber die ersten fangen an, Fragen zu stellen.“ Er fluchte laut. „Anouk, was soll ich jetzt machen?“
„Gar nichts, Liam“, versuchte ich ihn zu beruhigen. „Wenn noch nichts offiziell ist-“
„Die Proben werden vernachlässigt, ständig sind alle mit anderen Dingen beschäftigt. Da stimmt garantiert etwas nicht! – Was soll ich machen, wenn…“ Er brachte den Satz nicht zu Ende, aber ich wusste, was er meinte: wenn alles abgesagt wurde. Dann würde er dastehen, ohne Rolle, völlig unvorbereitet… ohne einen Cent Verdienst.
„Ich sehe mich schon Werbung für Poco machen“, sagte er düster – ihm schienen die gleichen Gedanken durch den Kopf zu gehen. „Ich war so froh über diese Rolle, und jetzt… Verdammt, dreimal verdammt!“
„Anouk!“ Eine Kollegin winkte mir zu, und ich sah, dass alle auf mich warteten. Auch das noch. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
„Liam, das ist so schrecklich! Aber bitte, halte dich einfach zurück und… warte ab, so dumm sich das anhört. Ihr könnt nichts machen, zumindest nicht, bis euch jemand was sagt. Und wenn…“ Ich drehte mich um, um das Winken zu ignorieren, „wenn es tatsächlich zum schlimmsten kommen sollte, dann komm sofort her. Du kennst meine Adresse?“
„Ja.“ Er klang niedergeschlagen.
„Okay. Ruf einfach vorher an, verlass sofort das Hotel, damit keine unnötigen Kosten aufkommen, und komm einfach rüber. Dann sehen wir gemeinsam weiter. – Ich muss jetzt wirklich weiterproben.“
„Okay. Ich will dich nicht aufhalten.“
Ich hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen, aber ich musste auflegen. Ich musste proben und das Denken auf heute Abend verschieben. Ich war schon genug unangenehm aufgefallen heute.

Liam reiste vier Tage später an. Zwei Tage zuvor wurde offiziell, was immer mehr vermuteten: das Stück wurde komplett abgesagt. Insolvenz des Veranstalters. Enttäuschte Fans, Gerangel um Rückerstattung, Verwirrung bei den Darstellern. Es gab ein zwielichtiges Angebot eines weiteren Veranstalters, Teile der Cast zu übernehmen, aber dieses war an seltsame vertragliche Pflichten gebunden, von denen ich Liam sofort abriet.
Ich holte Liam in meiner Pause ab, und obwohl ich ihn lieber in meine Wohnung verfrachtet hätte, damit er zur Ruhe käme, bestand er darauf, die Proben anzusehen, was glücklicherweise keine Schwierigkeiten machte. Die meisten meiner Kollegen zeigten sich anteilnehmend und wütend, auch über das fragwürdige Übernahme-Angebot. In den Gesprächen taute Liam etwas auf, weil er den Frust mit anderen teilen konnte, aber ich beobachtete ihn manchmal von der Bühne aus und sah einen abwesenden, enttäuschten und besorgten Ausdruck in seinem Gesicht. Am liebsten wäre ich sofort zur Intendanz gerannt und hätte sie auf den Knien angefleht, ihn ins Ensemble aufzunehmen, aber ich wusste selber, wie unmöglich das war. Also zwang ich mich zu proben und zu vergessen, zumindest fürs erste.
Wir würden eine Menge zu tun haben in den nächsten Tagen…
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Was ich segne muss verderben
Nur mein Gift macht dich gesund
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 02.11.2015, 15:23:53

Ein sehr schöner Teil!
toll, dass es für Anouk gut weitergeht und sehr bitter, was bei Liam passiert. Das erinnert mich nur zu sehr an die 3 Musketiere Tour - 2x haben wirs versucht und beides Mal mussten wir die Karten zurückgeben - ich will auch nicht wissen, wie es den Darstellern dabei ging!
Sehr realistischer und schöner Teil. Es macht jedes Mal sehr viel Spaß zu lesen!!
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon bogi-2000 » 04.11.2015, 17:16:52

Wieder mal ein toller und sehr realistischer Teil. Sehr schön. Freue mich schon auf eine Fortsetzung.

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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon armandine » 04.11.2015, 20:20:52

Oh, das mit Liam ist mehr als realistisch, da kenne ich einige Beispiele... Hoffentlich findet er bald etwas Neues und Besseres!


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