Und weiter gehts
Meine Eltern sahen mich an, als hätten sie einen Geist gesehen. Nein, warum hatte ich das gesagt? Ich wollte es doch gar nicht. Wir wollten es noch nicht öffentlich machen und meinen Eltern wollte ich es schon gar nicht sagen. Aber ich hatte es getan.
„Du hast einen Freund?“, fragte mich mein Vater ungläubig. Ich schaute zu Boden und gab ein leises „Ja“ von mir. Jetzt kam ich da auch nicht mehr anders weiter als alles zu erzählen. Aber warum hatte ich nicht einfach geschwiegen? Wahrscheinlich war mir diese ständige Stichelei meines Vaters so auf die Nerven gegangen, dass ich es nicht mehr anders aushielt.
Langsam schienen sich meine Eltern wieder zu fangen. „Also hast du einen netten Jungen in deiner Klasse gefunden.“, freute sich meine Mutter beinahe und auch mein Vater sah nun recht fröhlich drein. Ich hob meinen Blick. „Nein. Er ist nicht in meiner Klasse.“, gab ich nun in einem bestimmtem Tonfall von mir.
„Na, ist ja klar. Sicherlich ist er eine Stufe höher.“, erweiterte mein Vater die Aussage meiner Mutter. „Ich kenne ihn nicht aus der Schule.“, hielt ich die Spekulationen meiner Eltern inne.
„Hast du beim Gesangsunterricht einen netten Jungen kennen gelernt?“, wollte meine Mutter wissen. Während ich den Kopf schüttelte, sagte ich: „Nein.“ Wieder schauten meine Eltern seltsam drein.
Meine Mutter meinte daraufhin: „Mensch Nora, du machst es aber spannend. Warum hast du ihn denn nicht einfach mitgebracht?“ Scheinbar wollte sie es nun auf eine andere Tour versuchen.
„Weil er in Hamburg ist.“, antwortete ich wahrheitsgetreu. „In Hamburg? Aber was macht er denn im Hamburg?“, wollte meine Mutter etwas verwirrt wissen. „Dort sind die Final Castings für Mozart!“, erklärte ich. „Er ist ein…“, begann mein Vater, aber schien es nicht aussprechen zu wollen. „Darsteller“, beendete ich seinen Satz. „Ja, du kannst es ruhig aussprechen. Er ist ein Darsteller.“ Schweigen trat ein.
Meine Mutter hatte sich zuerst wieder gefangen. „Er ist Darsteller, bei den Final Auditions für Mozart und… und dein Freund?“, stellte sie nochmals zusammen. Ich nickte.
Auf den Gesichtern meiner Eltern sammelten sich tausend Fragen und noch bevor eine davon ausgesprochen werden konnte, setzte ich an: „Wir haben uns bei dem Casting das erste Mal gesehen und auf Anhieb gut verstanden. Bei den Proben haben wir uns dann wieder getroffen, er spielt den Jesus. Nach den Shows haben wir oft zusammen gesessen und uns unterhalten. Seit 5 Wochen sind wir jetzt zusammen und er begleitet mich jede Woche zum Gesangsunterricht, außerdem treffen wir uns so oft es geht.“
Nun hatte ich meine Eltern komplett geschockt. Wieder war es meine Mutter, die zuerst einen Ton heraus bekam: „Aber, wenn er Jesus ist, dann… dann ist er ja nicht gerade erst 18 Jahre alt…“, stellte sie fest. „Er ist 22“, antwortete ich.
Mein Vater stand auf und begann im Zimmer umher zu laufen, scheinbar suchte er nach den richtigen Worten, doch meine Mutter redete einfach drauf los: „Kind, weißt du, was du da redest? Der Mann ist 5 Jahre älter als du“ – „4 Jahre und 10 Monate“, verbesserte ich sie. „Ach das spielt doch keine Rolle. Tatsache ist, dass er viel älter als du ist und du, du bist noch ein Kind. Meinst du wirklich, dass er es ernst mit dir meint, Norina?“, mischte sich mein Vater ein.
Dass er mich Norina nannte, deutete eindeutig darauf hin, dass er begann ein ernstes Gespräch zu führen und sich im Recht sah. „Ja, das meine ich und ich weiß es.“, rief ich.
Mein Vater wollte mir erneut widersprechen, als ich einen letzten Versuch unternahm: „Du bist doch auch 4 Jahre älter als Mama.“ – „Aber Nora, das kannst du doch gar nicht vergleichen. Wir sind erwachsene Menschen und du bist noch ein Kind.“, wollte mich meine Mutter beschwichtigen.
„Und wie lange noch? Ich bin fast 18! Und ihr, ihr habt mir nicht zu verbieten, wen ich liebe. Ich liebe ihn, habt ihr das verstanden?“, schleuderte ich meinen Eltern entgegen und rannte aufgewühlt hoch in mein Zimmer. Die Tränen rannen mir über die Wangen.
Wie konnten meine Eltern so etwas sagen? Ich war sauer, wütend und enttäuscht zugleich. Warum wollte mir niemand mein Glück gönnen? Ich weinte noch lange und erst in der Nacht konnte ich einschlafen.
Am nächsten Morgen kam ich am Frühstück mit meinen Eltern nicht vorbei und befürchtete schon das Schlimmste. Allerdings schienen auch sie am Abend zuvor nicht gleich schlafen gegangen zu sein.
Sie hatten noch einmal über das Gespräch nachgedacht und entschuldigten sich für ihr vorschnelles Urteil. Sie wollten Leon erst einmal kennen lernen.
Seinen Namen hatte ich am Vorabend nicht fallen lassen, aber sie wussten es. Das zeigte mir, dass sie sich wirklich mit ihm beschäftigt hatten. Denn eine andere Möglichkeit, als im Internet nach der aktuellen Cast von JCS zu schauen, gab es ja nicht.
Ich sollte ihn doch für das nächste Wochenende einladen. Was genau ich davon halten sollte, wusste ich noch nicht, aber ich willigte ein.
Es würde zwar bestimmt nicht das Ende aller Streitigkeiten sein, aber ich war sehr froh, dass meine Eltern sich erst einmal beruhigt hatten.
Am folgenden Montag sah ich Leon endlich wieder. Seit der SMS hatte ich nichts mehr von ihm gehört und bangte, ob er tatsächlich beim Gesangsunterricht auftauchen würde. Aber er kam!
Erst als die Stunde vorbei war, konnte ich ihn richtig begrüßen und wir hatten uns viel zu erzählen. Leon berichtete von den Finals und dass die Entscheidung in der nächsten Woche fallen würde. Er musste immer wieder vorsingen und wisse selbst nicht genau, woran er jetzt ist.
Außerdem entschuldigte er sich bestimmt 10 Mal, dass sein Handy den Geist aufgegeben hatte. Mich beruhigte es sehr, dass dies der Grund gewesen war, weshalb er sich nicht mehr gemeldet hatte, beinahe hätte ich nämlich schon meinen Eltern geglaubt, die ja gesagt hatten, dass er es nicht ernst meine, aber nein! Dem war auf keinen Fall so.
„Wie war dein Wochenende?“, fragte er irgendwann. „Naja“, druckste ich herum. „Ich hatte eine kleine Auseinandersetzung mit meinen Eltern.“ Er schien etwas verwundert und fragte:
„Worum ging es denn?“ – „Es ging… es ging um dich“, rückte ich heraus. „Sie wollen dich kennen lernen.“
~*Niemand nimmt mir meine Träume und schließt meine Sehnsucht ein, wo es Liebe gab und Freiheit wird mein Herz für immer sein*~