
Eine Stunde später saß ich im Auto und war auf dem Weg zu dem Club, in dem Diana ihren dreißigsten Geburtstag feierte.
Anders als sonst nahm ich Jan heute nicht mit – er spielte mit Diana die heutige Vorstellung; die beiden wollten danach zusammen zu dem Club fahren und Yvonne mitnehmen, die die heutige Vorstellung ansah, um Diana und mich vergleichen zu können. Ich verzog das Gesicht. Natürlich wusste ich, dass viele Fans die Show mehrmals ansahen, um die Darsteller in den Rollen vergleichen zu können.
Aber zu wissen, dass jemand genau in dieser Minute im Theater saß, Dianas umwerfende Stimme hörte und mit mir verglich… Dabei fühlte ich mich doch unwohl.
Ich warf einen Blick auf den Beifahrersitz, wo neben meiner Handtasche eine riesige Flasche Prosecco lag – mein Mitbringsel zur Party. Es war nicht sehr persönlich, aber Diana, unsere „Partymaus“, wie sie im Ensemble scherzhaft hieß, würde sich freuen.
Ich sah wieder auf die Straße und lächelte. Normalerweise ging ich nicht gern auf Partys, aber auf heute Abend freute ich mich. Ich genoss es, wenn ich meine Kollegen privat erleben konnte – dann erst entstand das Gefühl wirklicher Freundschaft. Außerhalb des Theaters hatten viele von uns – wie ich – kaum noch Kontakte. Dafür fehlte die Zeit.
Mein Blick fiel auf die Uhr am Armaturenbrett und ich wusste, dass die Vorstellung ungefähr jetzt zu Ende sein musste. Ich stellte mir Jan vor, der sich gerade verbeugte, und musste lächeln. Obwohl er fast zwei Jahre älter war als ich, hatte er so eine kindlich-fröhliche Art, sich über den Applaus zu freuen, dass ich nur neidisch sein konnte. Sicher, ich war auch stolz auf die Anerkennung jeden Abend, aber diese bedingungslose Freude war mir verloren gegangen.
Ich sah in den Rückspiegel – und erschrak so heftig, dass ich den Wagen beinahe auf die Gegenfahrbahn gelenkt hätte. Auf der Rückbank saß mein Bekannter, für den ich mir noch einen Namen ausdenken musste.
Rasch lenkte ich mein Auto wieder richtig in die Spur und sah ihn vorwurfsvoll im Spiegel an. „Du wolltest dich nicht zufällig vorher ankündigen?“, fragte ich mit einem strengen Blick. Er schüttelte den Kopf und blickte – absichtlich? – über meine Kritik hinweg.
„Das tue ich meistens nicht“, erklärte er und ich musste ihm wohl oder übel zustimmen. Er kündigte sich eben nur bei sehr alten Menschen und schwer Kranken an; das leuchtete mir ein. Aber trotzdem.
„Ich will heute Abend unbedingt noch erleben“, beschwerte ich mich. „Denk nicht mal dran, mich jetzt mitzunehmen. Diese Party werde ich mir nicht entgehen lassen.“
Er lächelte. „Keine Sorge, ich nehme dich schon nicht mit. Noch nicht. Amüsier dich ruhig heute Abend.“
Einen Moment überlegte ich, ob ich ihn fragen sollte, was er mit noch nicht meinte, aber entschied mich dann doch dagegen. So genau wollte ich es gar nicht wissen und beschloss, die Andeutung nur als Hinweis zu verstehen, dass ich sterblich war.
Ich konzentrierte mich auf den Verkehr, aber bei jedem Blick in den Rückspiegel sah ich seine düsteren Augen, deren Blick forschend auf mir ruhte. Fröstelnd zog ich die Schultern auf und drehte die Heizung höher, obwohl ich ahnte, dass die Kälte in meinem Inneren nicht von außen kam.
Die Fahrt verlief, bis auf die automatischen Ansagen meines Navigationsgeräts, schweigend. „Sie haben Ihr Ziel erreicht“, verkündete die Stimme schließlich, als ich fast genau vor der Tür des Clubs eine Parklücke fand.
Ich stellte den Motor ab und sah ihn herausfordernd an. „Was jetzt? Kommst du mit oder wie?“
Er lächelte wieder und schüttelte unbestimmt den Kopf. „Ich lasse mich vielleicht mal blicken. Aber ansonsten lasse ich dir heute einen ruhigen Abend. Amüsier dich gut, Elisabeth – es ist vielleicht die letzte Party, an die du dich gern erinnern wirst.“
Nun wollte ich doch wissen, was diese seltsamen Andeutungen zu bedeuten hatten. Aber noch während ich Luft holte, um ihn zu fragen, blickte mir im Spiegel nur noch der leere Rücksitz entgegen.
Ich schüttelte den Kopf und beschloss, nicht darüber nachzudenken. Heute jedenfalls wollte ich seinen Rat befolgen und mich amüsieren. Energisch griff ich nach meiner Handtasche und der Proseccoflasche, stieg aus dem Wagen und ging auf den Club zu.