So, kurz vor 2007 noch eine ziemlich lange Fortsetzung.
Was sagt ihr dazu?
@Kitti: Der wirklich interessante Teil ist dann der übernächste... oder der danach, ich weiß noch nicht wie ich es aufteile...
Allen Lesern noch ein gutes neues Jahr!
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Während die untergehende Sonne Budapest in einen goldenen Glanz tauchte, saß Sisi Franz-Joseph gegenüber im Zug in Richtung Wien und war wie erstarrt. Sie sprach kein Wort, sondern starrte nur aus dem Fenster und saß ansonsten regungslos da. Die letzten Stunden hatte sie wie einen Alptraum erlebt. In Eile waren sämtliche Koffer für die Heimfahrt gepackt worden.
Sisi hatte sich kaum von ihrem ersten hysterischen Anfall nach Sophies Tod beruhigt, aber der nächste folgte fast unmittelbar, nachdem Franz die Worte ausgesprochen hatte: „Wir müssen zurückfahren.“
- „Was?! Wir fahren zurück nach Wien?! Aber ich kann da nicht hin! Ich will da nicht hin! Alle werden mir die Schuld dafür geben was passiert ist! Ich kann deiner Mutter nicht unter die Augen treten… Ich bin so schwach, ich schaffe das nicht…“
Ich bin mir so sicher, dass Franz auch nicht so stark ist wie er gerade vorgibt zu sein. Es kann ihm einfach nicht egal sein, was passiert ist…
Er hatte versucht, sie zu trösten, aber das brachte auch nichts. Keines der liebevollen Worte konnte sie beruhigen. „Lass mich doch einfach bloß in Ruhe!“ hatte sie ihn in ihrer Verzweiflung angeschrieen. „Ich will nichts mehr hören! Ich kann nicht mehr!“ Daraufhin hatte er nur noch drei Worte gesagt. Nicht zum ersten Mal, seit sie ihn kannte. Die Worte, mit denen er meistens aufgab, wenn er dachte, eine weitere Unterhaltung würde keinen Sinn machen.
„Wie du meinst.“
Seitdem hatten sie sich nur angeschwiegen.
Plötzlich, da sie sich langsam aber sicher von der ungarischen Hauptstadt entfernten, fiel ihr etwas ganz anderes ein. Nachdenklich sah sie Franz an.
„Wissen sie eigentlich, weshalb wir das Land so überstürzt verlassen?“
Franz Joseph sah sie überrascht an.
„Wer?“
- „Graf Andrássy und die anderen ungarischen Magnaten natürlich.“ erklärte Sisi. „Wir haben doch die Reise eigentlich für die Fortsetzung der Ausgleichsverhandlungen gemacht. Sie müssen doch informiert worden sein…“ – „Was geht diese Menschen unsere Sorgen an?!“ erwiderte Franz und klang verärgert. „Ich dachte nur… was werden sie denken wenn wir ohne eine Erklärung nach Österreich zurückgehen. Ob sie das nicht irgendwie falsch verstehen.“
„Ach, Sisi.“
Wieder zwei Worte in einem Tonfall, den sie absolut nicht ausstehen konnte.
„Was?“
fragte sie ebenfalls leicht aggressiv.
„Sie werden irgendwie herausfinden was passiert ist, und es verstehen. Unter den Umständen kann man keine vernünftigen politischen Verhandlungen führen. Deswegen ist der Ausgleich nicht weiter weg wie vor zwei Tagen.“
Jetzt war es Sisi, die keinen Sinn mehr darin sah, weiterzureden. Sie starrte wieder nach draußen und beobachtete die Landschaft so genau, als würde sie nie mehr nach Ungarn zurückkehren…
Die Fahrt nach Wien dauerte von Budapest nicht allzu lange. Die Sonne war längst untergegangen, als Franz und Sisi ins Schloss Schönbrunn zurückkehrten.
Obwohl Sisi jetzt nichts lieber getan hätte, als sich in ihr Zimmer zurückzuziehen, sollte sie erstmal keine Gelegenheit dazu haben.
„Kaiserliche Hoheit“, bemerkte Gräfin Esterházy-Liechtenstein, ihre verhasste Oberhofmeisterin, „die Erzherzogin Sophie lässt Euch sofort zu sich rufen, wenn Ihr angekommen seid.“
„Ich möchte aber nicht mit ihr reden“, erwiderte Sisi und klang dabei fürchterlich aufgeregt.
Alles nur das nicht. Sie wollte das nicht. Wieso konnte ihre Schwiegermutter sie nicht einfach in Ruhe lassen?!
„Ach geh, sei nicht narrisch, Sisserl.“ bemerkte Franz Joseph mit einem Kopfschütteln anstatt sie zu verteidigen.
„Geh zu ihr hin, hör dir an was sie zu sagen hat und dann ist es auch schon vorbei. Sie weiß doch was passiert ist und wird vollstes Verständnis haben.“
„Ich schaff das nicht, Franzl“, murmelte Sisi. „Wenn du wenigstens mitkommen würdest…“
- „Damit würdest du dich doch nur lächerlich machen. Nun geh schon, dann ist es umso schneller vorbei. Ich muss noch wichtige Dinge erledigen… Es sind gewisse Vorbereitungen zu treffen…“
Für die Trauerfeier und die Beisetzung, ich weiß schon… dachte Sisi.
„Außerdem hat die Erzherzogin ausdrücklich danach verlangt, mit Ihnen alleine zu sprechen. Kommt bitte mit, Kaiserliche Hoheit.“ forderte die Gräfin jetzt mit deutlichem Nachdruck in der Stimme.
Sisi gab sich geschlagen und folgte ihr durch die Gänge, die vertrauten Wege bis zu dem Trakt der Erzherzogin.
Die Gräfin klopfte an eine Tür und wartete, bis von drinnen eine Stimme „Herein“ rief. Dann ging sie einfach davon und ließ Sisi stehen. Am liebsten wäre sie in die andere Richtung zurückgegangen, aber im gleichen Moment wurde die Tür vom Inneren des Raumes geöffnet und Erzherzogin Sophie stand vor ihr.
„Elisabeth.“
sagte sie.
Erstmal nur dieses eine Wort.
Sisi blieb regungslos stehen. Ihr Herz klopfte so laut dass sie glaubte, Sophie würde es auch hören können. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, fürchtete die Vorwürfe, die Schuldgefühle, die ihr Sophie wohl einreden wollte.
„Nun komm schon rein, mein Kind“, fuhr Sophie fort. „Auf dem Gang lässt es sich so schlecht reden…“ Sisi zögerte noch einen kleinen Moment, dann folgte sie Sophie in deren Zimmer.
„Elisabeth.“
sagte Sophie ein zweites Mal. Jetzt fiel Sisi auf, dass ihre Stimme zitterte.
„Wie geht es dir denn, mein armes Mädchen?! Was hast du schreckliches erleben müssen?!“
- „Ich…“
Sisi wusste nicht was sie sagen sollte. Der sonst so ernsten und kühlen Sophie liefen auf einmal Tränen über die Wangen und sie umarmte Sisi so herzlich und tröstend, als wäre sie schon immer ihre Lieblingsnichte oder Schwiegertochter gewesen.
„Gerademal 20 Jahre alt und schon muss sie ihr jüngstes Kind verlieren… das war doch bestimmt fürchterlich… Mein aufrichtigstes Beileid…“ – „Ich habe gedacht ich stürze in einen Abgrund“, murmelte Sisi. „Ich war bei ihr als sie gestorben ist… ich habe ihre Hand genommen… ich dachte, ich kann sie zurückholen wenn ich bei ihr bleibe und Wache halte… aber dann kam der Herr Hofrat und…“
All die düsteren Erinnerungen stürzten wieder auf sie ein und sie brach ebenfalls in Tränen aus.
„Du hast mein tiefstes Mitgefühl, Elisabeth. Wenn du irgendetwas brauchst, komm einfach zu mir. Es wird alles wieder gut werden, auch wenn es erstmal nicht so aussieht. Versuch, stark zu bleiben.“ Sophies Stimme klang inzwischen wieder etwas gefasster.
„Ich versuch es… aber es geht nicht… es tut so weh…“ weinte Sisi.
Es klopfte.
„Was ist denn?!“
rief Sophie unwirsch.
Die Tür wurde einen Spaltbreit geöffnet. „Liebste Mama, haben Sie einen Augenblick Zeit?“
Franz Joseph stand draußen.
„Was gibt es, Franz?“ wollte Sophie wissen. „Ich versuche gerade, Sisi etwas zu beruhigen.
Sie ist in gar keiner guten Verfassung.“ – „Sisi ist genau der Grund, weshalb ich Sie aufsuche.“
Was hat das zu bedeuten? fragte sich Sisi verwundert. Erst hatte sie als sie seine Stimme gehört hatte, gedacht, er hätte sich von den ganzen Pflichten losgerissen um sie vielleicht doch zu unterstützen, aber als Franz Sophies Frage beantwortete, hatte sie plötzlich ein ganz merkwürdiges Gefühl. Nein, das klingt nicht so, als ob er mir beistehen möchte… er möchte mit Sophie über mich reden, weswegen auch immer…
„Hat das nicht noch etwas Zeit?!“
Sophie klang ungehalten. In diesem Moment war es sie, die Sisi verteidigte.
„Wenn es so wäre, hätte ich gewartet, Mama.“ erwiderte Franz.
- „Ist schon in Ordnung.“ Sisi schluckte einen weiteren Aufschluchzer herunter. „Sprechen Sie mit ihm, Tante Sophie. Er ist Ihr Sohn und mein lieber Ehemann und hat ebenfalls seine Tochter verloren… Ich komme schon zurecht. Ich werde mich jetzt zurückziehen. Wahrscheinlich brauche ich jetzt einfach nur etwas Ruhe…“
„Das ist eine gute Idee, Elisabeth. Versuch’ dich etwas auszuruhen. Und wenn irgendetwas ist, kannst du mich sofort aufsuchen. Ich werde wahrscheinlich sehr wenig Schlaf finden heute Nacht.“
„Vielen Dank, Tante Sophie.“
Sisi meinte den Dank vollkommen ernst. Vielleicht hatte das Unglück geschehen müssen, damit sich in ihrem Leben etwas veränderte. Vielleicht würde sie sich mit ihrer Tante jetzt endlich einmal besser verstehen.
Ohne sich weiter Gedanken zu machen, ging sie zurück in ihre Gemächer und setzte sich an ihren Lieblingsplatz – die Frisierkommode in der Nähe der großen Fenster. Wie oft war sie schon hier gesessen und hatte nach draußen geschaut… aber die Welt hatte sich verändert.
Ein Lied ging ihr durch den Kopf:
„Die Schatten werden länger, diese Welt zerbricht, halt dich nicht fest daran…“
Nachdenklich sah sie jetzt nicht aus dem Fenster, sondern in den Spiegel. Hatte sie sich auch verändert? Ja, sie sah einfach schrecklich aus, wie ein Häufchen Elend. Langsam nahm sie die Haarbürste auf und begann, sich durch die Haare zu fahren. Im gleichen Moment fiel ihr auf, dass sie nicht allein war.
Der Tod stand direkt hinter ihr.
„Du erinnerst dich also an das Lied aus meiner Welt, das freut mich sehr, Elisabeth.“
- „Was willst du denn jetzt schon wieder von mir?!“ rief Sisi, die bei seinem Anblick plötzlich von einem Angstgefühl ergriffen wurde und ließ die Bürste fallen. Im nächsten Augenblick begann sie schon wieder zu weinen.
„Nun hab doch keine Angst vor mir, ich habe dir einen Vorschlag zu machen…“
Er legte seine Hände auf ihre Schultern.
„Ein Vorschlag?“ wiederholte Sisi und fuhr zusammen. Ihr war plötzlich eiskalt.
- „Ich bin immer in deiner Nähe, ich helfe dir, wenn du mich brauchst. Durch mich kannst du dich von deinen Pflichten befreien... wenn du es nur willst… Und du wärst nichtmal allein…“
„Das bin ich hier auch nicht“, wehrte Sisi schnell ab. Sie hatte schon einmal der Versuchung eines Selbstmordversuches beinahe nachgegeben und sich gerade noch rechtzeitig eines besseren besonnen. Auch wenn der Tod sie wohl zu gerne wie er es sagte „in seiner Welt“ haben wollte und die Wirklichkeit so schwer war…
Ich habe wieder zu weinen aufgehört, fiel ihr im gleichen Moment auf. War das im gleichen Moment, als er mich berührt hat oder als er gesagt hat, er würde mir immer helfen?
„Tante Sophie war vorhin so nett zu mir, sie wird mir helfen mit allem fertigzuwerden, und Franz verkraftet die ganze Sache wohl doch nicht so gut wie es am Anfang ausgesehen hat… ich bin mir ganz sicher, er versteht mich auch…“
„Ach du glaubst, die Erzherzogin steht wirklich auf deiner Seite? Arme unwissende Sisi… ich glaube, ich lass dich jetzt besser allein und schaue mal, wie es deiner kleinen Tochter geht…“
„Die ist tot, herrschaftszeiten nochmal!“ rief Sisi „Außerdem, was meinst du mit unwissend?“
Der Tod grinste nur.
„Antworte!“
- „Früher oder später wirst du es erfahren.“ Dann ließ er sie plötzlich los und tat so, als ob er auf irgendetwas hören würde. „Hat da nicht ein zweijähriges Mädchen nach seiner Mama gerufen… ? Ach, kleine Sophie von Habsburg, deine Mama hat keine Zeit bei dir zu sein… die amüsiert sich gerade auf einem Ball in den Armen eines ungarischen Grafen… Du kannst also ruhig in meine Welt kommen, deine Mama braucht dich gar nicht…“
Das ist gemein, dachte Sisi und die Verzweiflung ergriff wieder von ihr Besitz, mich wieder an alles zu erinnern…
„Warum sagst du das denn jetzt? Ich dachte, du würdest mir helfen und wärst auf meiner Seite?“
- „Das bin ich auch. Ich wollte dir nur helfen, dich an die Vorwürfe, mit denen du vielleicht noch konfrontiert wirst, zu gewöhnen…“ – „Damit hilfst du mir gar nicht… Bitte geh jetzt.“
Der Tod grinste erneut, dann löste er sich aber langsam wieder in Nichts auf.
Sisi fröstelte immer noch und die Tränen liefen wieder über ihre Wangen.
Ich muss einfach versuchen, mit allem allein fertigzuwerden… beschloss sie. Die Trauerfeier morgen werde ich durchstehen, und dann werde ich erstmal niemanden mehr an mich heranlassen…
Am nächsten Tag ging es Sisi noch schlechter. Sie hatte nur sehr wenig geschlafen, war die meiste Zeit wachgelegen und hatte immer wieder geweint. Niemand hatte mehr nach ihr gesehen, weder Franz Joseph noch Tante Sophie. Alle hatten wahrscheinlich genug mit sich selbst zu kämpfen, dachte Sisi bei sich, aber irgendwie war es schon merkwürdig.
Regungs- und wortlos ließ sie sich frisieren und ankleiden. Auf das Frühstück brauchte sie nicht zu verzichten, sie aß in letzter Zeit eh nur so wenig. Erst kurz vor dem angesetzten Termin für die Trauerfeier, von dem sie lediglich durch eine Nachricht von Erzherzogin Sophie erfahren hatte, erschien sie in der Kapelle der Hofburg.
„Schön, dass du da bist.“ bemerkte Franz Joseph und nahm sie kurz in den Arm.„Wie geht es dir denn, mein Engel?“ - „Nicht besonders gut… aber ich muss da durch“, murmelte Sisi mit schwacher Stimme.
„Das schaffst du schon, Sisi. Ich bin bei dir. Wenn es irgendwas gibt, das ich für dich tun kann…“ - „Ach, Franzl...“ Sisi wusste nicht was sie sagen sollte. Hilfesuchend sah sie zu Sophie, doch die hatte wieder so einen distanzierten Blick in den Augen.
Was hat das nur zu bedeuten?! fragte sich Sisi. Sie ist wie ausgewechselt… Am besten, ich denke gar nicht mehr daran. Sie versucht sich nichts anmerken zu lassen, genau wie ich…
„Einen Wunsch hätte ich.“ fiel ihr plötzlich etwas ein. „Was denn, Sisserl?“
Sisi holte tief Luft, dann bemerkte sie schnell, bevor sie der Mut, es zu sagen, verließ:
„Nachher, wenn sie den Sarg in die Gruft gebracht haben, möchte ich gerne einen Moment allein dort unten sein. Ich möchte mich noch einmal in aller Ruhe von ihr verabschieden.“
- „Was für ein Wunsch soll denn das nur sein?“ rief die Erzherzogin geschockt und ging kopfschüttelnd davon. „Wenn du meinst, dass du das schaffst, dann mach das ruhig.“ erwiderte Franz. „Vielleicht mache ich das auch, wenn du wieder zurück bist… Sei stark, Engel.“
„Ich versuche es, stark zu sein. Ich versuche es schon die ganze Zeit…“
murmelte Sisi.
Während des Gedenkgottesdienstes gelang es Sisi tatsächlich, einigermaßen ruhig zu bleiben. Sie wunderte sich nur, weshalb so wenig Leute eingeladen worden waren – Erzherzogin Sophie hatte nicht eines ihrer Familienmitglieder von dem tragischen Ereignis in Kenntnis gesetzt und es saßen nur einige Mitglieder des von Sisi so verhassten Wiener Hofs in der Kapelle. Auf der anschließenden Fahrt zur Augustinerkirche, wo der Sarg seinen Platz in der Kapuzinergruft erhalten sollte, waren die Straßen jedoch voller Menschen. Wie auch schon am Tag ihrer Hochzeit hatte Sisi auf einmal wieder das Gefühl, als würde ihr alles zuviel werden und sie begann zu weinen.
Nach der Beisetzung machten sich die wenigen Trauergäste schnell wieder auf den Weg nach draußen, Sisi blieb aber allein in der Dunkelheit zurück, wie sie es gewollt hatte.
Erst blieb sie eine Weile schweigend vor dem Sarg stehen, dann brach sie jedoch weinend zusammen.
„Warum werde ich eigentlich für jede Entscheidung und jeden Erfolg bestraft?! Ich habe mich durchgesetzt und dich mitnehmen können, und schon bist du krank geworden, meine Kleine…“
Sie sah auf das große steinerne Kreuz und dann himmelwärts.
„Das muss ein Alptraum sein… Lieber Gott, gib mir meine kleine Sophie zurück…“
- „Was redest du denn nur?“
Urplötzlich stand die Erzherzogin neben ihr.
„Das war doch alles deine eigene Schuld, Elisabeth. “ – „Das ist nicht wahr“, bemerkte Sisi leise.
„Natürlich ist es das“, erwiderte Sophie eiskalt. All das Mitgefühl vom Abend zuvor war gewichen. Sie war jetzt wie immer. „Du wolltest ja unbedingt die Kinder mit nach Ungarn nehmen. Ich habe es immer gesagt, dich gewarnt, aber du wolltest nicht auf mich hören. Ungarn ist nicht gesund für so kleine Kinder. Du bist schuld am Tod der kleinen Sophie!"
Da waren sie, die schrecklichen Vorwürfe. Es war doch noch alles so gekommen, wie Sisi befürchtet und der Tod auch schon angedeutet hatte. Die Erzherzogin hatte sich am Vorabend nur verstellt.
„Ich wollte sie endlich mal bei mir haben… Sie haben sie mir weggenommen, Erzherzogin Sophie, und der kleinen auch noch Ihren Namen gegeben…“ – „Du hättest es wohl lieber gesehen, wenn ich in dem Sarg gelegen hätte, oder? … Du brauchst gar nicht antworten. Ich sehe dir das doch an. Und wenn du sagst, dass du die Kinder bei dir haben wolltest – warum bist du dann mit Franz weiter nach Debrezin gefahren? Deine kranken Kinder waren doch in Budapest…“
„Das weiß ich doch“, murmelte Sisi.
- „Komm jetzt mit, das ist alles andere als akzeptabel, wenn du hier allein im Dunklen stehst und Selbstgespräche führst wie so eine Verrückte… oder wie dein Vater…“ Die Erzherzogin packte Sisi Arm.
„Es ist Ihrer Meinung nach nicht akzeptabel, wenn ich mich von meiner kleinen Tochter verabschieden möchte?!“ Sisi schüttelte entsetzt den Kopf und riss sich los. Ihre Verzweiflung und Trauer wich für einen Moment Wut. „Wie gefühlskalt Sie sind, Tante.“
„Das sagst ausgerechnet du, Elisabeth?!“ rief Sophie so laut, dass es in der ganzen Gruft widerhallte. „Ich glaube es nicht. Du bist doch diejenige, auf die dieses Wort besser zutrifft. Erst willst du bei deinen Kindern sein und nimmst sie in dieses gefährliche Land mit, dann werden sie krank und du willst nichts mehr von ihnen wissen,… und als ob das noch nicht reicht, hast du auch noch…“
Sisi fuhr zusammen.
„Was?“
fragte sie nur. Die Frage, was genau Sophie wusste, wollte sie nicht stellen.
„Du weißt genau, was ich meine… oder vielleicht nicht, weil du total durcheinander bist. Ich brauch nur einen Namen zu nennen, dann denke ich, wirst du wissen, was ich meine. Franz hat mir gestern Abend noch davon erzählt.“
Deswegen wollte er mit ihr reden, fiel es Sisi auf. Nicht mit mir, um mich nicht aufzuregen, sondern mit ihr…
Sie setzte an, etwas zu sagen, um sich zu verteidigen aber Sophie schüttelte nur den Kopf.
„Am besten, wir verlieren keine weiteren Worte darüber. Jetzt nicht und in der Zukunft auch nicht. Schon bei der Vorstellung wird es mir schlecht. Aber wahrscheinlich wollte dich der liebe Gott für diese Verfehlung bestrafen und die kleine ist deswegen gestorben. Noch ein Grund dafür, dass es deine Schuld ist, Elisabeth. Jetzt komm endlich mit.“ Sophie packte wieder Sisis Arm.
„Ich möchte noch etwas hierbleiben! Lassen Sie mich alleine!“
- „Ich werde dich ganz bestimmt nicht hier allein lassen. Denk nicht einmal daran. In dem Zustand machst du nur irgendwelche Dummheiten.“ – „Das werd ich ganz bestimmt nicht.“ Sisi senkte kurz die Stimme, dass Sophie es nicht unbedingt mitbekam. „Wenn ich das wollte, hätte ich es gestern Abend schon getan….“
„Was sagst du da?!“ horchte Sophie auf. Sie hatte es natürlich doch gehört. „Weißt du überhaupt, was du sagst?! Du bist wirklich ein merkwürdiges Kind… aber vielleicht liegt das auch einfach nur daran, dass du immer noch unter Schock stehst, immerhin ist deine Tochter unter deinen Augen gestorben…“ Auf einmal klang ihre Stimme wieder ruhig. „Nur keine Sorge, Elisabeth, wenn wir im Schloss zurück sind, werde ich Hofrat Seeburger zu dir schicken, damit er dir ein Beruhigungsmittel gibt.“
Sisi erstarrte.
„Was?! Ich soll mir von ihm irgendein Medikament geben lassen?! Das kann nicht Ihr Ernst sein, Tante Sophie! Er ist doch schuld, dass meine kleine ihre Krankheit nicht überlebt hat!“
- „Die Krankheit, die sie sich durch deinen Starrsinn erst zugezogen hat. Ich sagte es bereits, Elisabeth, du allein trägst die Schuld.“
Sisi suchte nach Worten. Auf einmal wurde es ihr schwindelig. Die Umgebung begann vor ihr zu verschwimmen und Sophies Worte schienen ein endloses Echo zu haben.
Du allein trägst die Schuld… die Schuld… die Schuld… die…
Im gleichen Moment glaubte Sisi, dass sie nicht mehr allein mit Sophie in der dunklen Gruft stand. Eine Gestalt war aufgetaucht, die ihr nur zu bekannt vorkam. Sie stand hinter dem Sarg ihrer kleinen Tochter und lächelte ihr triumphierend zu.
„Verschwinde“, murmelte Sisi, „verschwinde, verschwinde…“
Sie bekam noch mit, dass Erzherzogin Sophie ansetze, noch etwas zu ihr zu sagen – dann wurde es dunkel um sie herum.